Gott, Joseph Smith und Dieter wiesmann sind gross

Rund 8000 MormonInnen soll es in der Schweiz geben, exklusive MissionarInnen. Was glauben diese Menschen, die ihre toten Verwandten zu hunderten taufen? Und tragen sie wirklich heilige Unterwäsche?

Beim Gottesdienst in der Kirche wie im GOTTESHAUS IN SCHAFFHAUSEN (Bild) sind alle Besucher willkommen, wichtige Rituale im Tempel (auch im schweizerischen Zollikofen steht einer davon) sind hingegen streng geheim. Bild: mg.

Die Mormonen kennt man hierzulande vor allem als freundliche junge Männer, die aus Utah in die Schweiz geschickt werden, um zu missionieren. Sie tragen weisse Hemden und schwarze Krawatten, und wenn man Interesse zeigt, schenken sie einem das Buch Mormon. Weniger bekannt ist die kleine Gemeinde von Schaffhauser MormonInnen. Wir haben ihren Gottesdienst besucht.

Das Gotteshaus der «Kirche Jesu Christi der heiligen der letzten Tage», wie die grösste mormonische Glaubensgemeinschaft offi ziell heisst, befi ndet sich an der Steighalde, keine fünf Gehminuten von der Altstadt entfernt, auf einem Grundstück, das der Kirche selbst gehört. Sie will umziehen, wie wir später erfahren. Die Gemeinde, Zweig genannt, sucht ein neues Gotteshaus: Grösser soll es sein und vor allem mehr Parkplätze bieten. Gut 8000 getaufte MormonInnen gibt es nach Angaben der Kirche in der Schweiz – in Schaffhausen sind es «eine Handvoll Familien». Dennoch sind die Bänke im kleinen Raum fast bis auf den letzten Platz besetzt. Unwissentlich sind wir in eine wichtige Veranstaltung geplatzt: Die alljährliche Zweigkonferenz, welche auch von der Leitung des Pfahls Zürich besucht wird – die fremden Gäste werden dennoch freundlich begrüsst.

Der Zweig ist die unterste Stufe in der hierarchischen Gliederung des weltweiten Mormonentums. Der Zweig Schaffhausen beispielsweise ist dem Pfahl Zürich unterstellt, der wiederum zum Gebiet Europa gehört. Die Spitze der streng hierarchischen Pyramide bildet der Präsident in Salt Lake City, den die Mormonen «Prophet» nennen. Der aktuelle Prophet heisst Thomas S. Monson, ist auf Lebzeiten berufen und steht in direktem Kontakt mit Gott.

Wir wählen den «Propheten» in Utah

Zum Einstieg ertönt ein Kanon: «Dona nobis pacem», der auch in reformierten und katholischen Kirchen erklingt. Soweit sind keine grossen Unterschiede auszumachen, auch der Gesang des etwa siebenköpfi gen Chors klingt nicht mehr und nicht weniger schief als in jeder anderen kleinen Kirche. Wir erheben uns zum Gebet, auch dieses würde ebenso gut in einen reformierten Gottesdienst passen und enthält nichts spezifi sch Mormonisches.

In den USA eine der am schnellsten wachsenden Religionsgruppen, in Schaffhausen eine Handvoll Familien: MORMONENTEMPEL IN SALT LAKE CITY. Bild: CC BY 2.5, Wikimedia Commons

Dann jedoch tritt der Pfahlpräsident an das im kleinen Raum vollkommen unnötige Mikrofon und läutet die Wahlen ein, das einzige Traktandum der heutigen Zweigkonferenz. Zu unserem grossen Erstaunen werden die WürdenträgerInnen der Kirche hier an der Basis in ihrem Amt bestätigt, und zwar nicht nur der Zweigpräsident – gewissermassen der Pfarrer der kleinen Gemeinde – und die Leiter des Pfahls Zürich: Nein, gewählt werden durch alle hierarchischen Stufen die AmtsträgerInnen bis zu den «zwölf Aposteln» und dem «Propheten» in Salt Lake City.

GegenkandidatInnen gibt es allerdings nicht, man kann nur für oder gegen die einzig aufgestellte Person sein. An diesem Sonntag werden im kleinen Schaffhauser Zweig alle WürdenträgerInnen ohne Gegenstimmen bestätigt. Zwei Enthaltungen sind jeweils zu verzeichnen. Später versichert ein junger Mormone, die Lappi-Redakteure hätten durchaus mitstimmen dürfen.

Der Gottesdienst geht weiter. Es wird kaum aus der heiligen Schrift gelesen, weder aus der Bibel noch aus dem Buch Mormon. Dafür berichtet Zweigpräsident Guido Weibel von einem religiösen Erlebnis, das er als Kind hatte, als er noch Katholik war. Er habe dieses Erlebnis noch nie erzählt, auch seiner Frau nicht – das wundert uns, denn die Story ist gut – oder gut erfunden. Er sei mit einer katholischen Kinder-Wandergruppe in den Bergen von einem Gewitter überrascht worden. Der erwachsene Führer habe die Kinder in eine Hütte geführt und draussen nachgeschaut, ob man den Abstieg wagen könne.

Dabei sei er beinahe vom Blitz getroffen worden. Erst nachdem er die Gruppe sicher zurück ins Tal geführt hatte, erfuhr der kleine Guido, dass der Führer beim Blitzeinschlag erblindet sei.

Als nächstes spricht ein Gast aus Graubünden, er «legt Zeugnis ab», wie das bei den MormonInnen heisst. Mit bebender Stimme schwärmt er von der Wichtigkeit kleiner Gemeinden und dem Zusammenhalt, der in diesen entstehe. Er unterstreicht dies mit einem Zitat: «Bloss e chlini Stadt, wo ein de ander kennt!» Jedem einzelnen Wort verleiht er solches Gewicht, dass man meinen könnte, er zitiere aus den heiligsten Passagen aller heiligen Schriften und nicht aus einem profanen Wiesmann-Chanson.

Wein zu Wasser

Im Allgemeinen unterscheidet sich der Gottesdienst der MormonInnen von demjenigen in jeder anderen kleinen Kirche. Das Blut Christi beim Abendmahl ist kein Wein, sondern ein Fingerhut Wasser, und manche der Liedtexte stammen aus dem Buch Mormon. Eine Frau ruft noch dazu auf, man solle fleissig Ahnenforschung betreiben, das sei sinnvoller als «Süchte» wie Videospiele – ansonsten ist alles relativ normal, oder zumindest so normal, wie die Ausübung von Religion halt sein kann. Wir sind etwas enttäuscht und bitten Zweigpräsident Guido Weibel, uns die eher merkwürdigen Aspekte des Mormonentums zu erklären.

Weibel legt dar, warum die Ahnenforschung – die Kirche betreibt die grösste genealogische Datenbank der Welt – für Anhänger des mormonischen Glaubens so wichtig ist. «Wir sind überzeugt, dass man bestimmte Rituale gemacht haben muss, um in gewisse Herrlichkeiten zu kommen», sagt er. Zu diesen Ritualen gehört die Taufe, die nur im Tempel möglich ist.

Die Details der Tempelrituale sind geheim, doch Weibel bestätigt, dass die MormonInnen die Taufe durch Untertauchen praktizieren und dass jeder Gläubige möglichst viele VorfahrInnen ausfindig machen sollte, um sich stellvertretend für diese taufen zu lassen. Dies ermögliche auch den bereits Verstorbenen, ins Paradies zu kommen. Mit hörbarem Schmunzeln sagt Weibel, manche würden unglaublich viele VorfahrInnen «auf wundersame Weise» finden, «als würden die Verstorbenen gefunden werden wollen».

Für die MormonInnen ist das Paradies allerdings nur eine Zwischenstufe. Denn vor dem Jüngsten Gericht werde man in verschiedene Grade der «Herrlichkeit» eingestuft, je nachdem, wie gut man gelebt habe. Die höchste Stufe, die man im Jenseits erreichen kann, ist der Einzug in das «Celestiale Reich».

Es ist der Wohnort Gottes und Jesu Christi, denen diejenigen MormonInnen, die ein besonders gutes Leben geführt haben, «von Angesicht zu Angesicht» begegnen werden. In diesem höchsten aller Zustände können sie «Geisteskinder» zeugen und für diese Welten schaffen – sie werden im Jenseits also gewissermassen selbst zu Gottheiten. «Man wird zu einer göttlichen Figur», bestätigt Weibel. Mormonen, die eine weniger hohe Stufe erreichen – beispielsweise alle, die ledig blieben – können nur zu «Engeln» werden, die den «Celestialen» dienen.

Stimmen hören, «Garments» tragen

Guido Weibel spricht diese Dinge nur ganz knapp an, doch er ist sich bewusst, dass im Zeitalter des Internets manche Geheimnisse der Kirche leicht zu erfahren sind. Wir bleiben bei irdischen Belangen und fragen: «Tragen die Mormonen wirklich heilige Unterwäsche?» Weibel bejaht.

Nach dem «Endowment», einem weiteren geheimen Tempelritual, das aus zahlreichen Belehrungen und Gelübden besteht und während dem man die Stimmen von Johannes, Petrus, Adam und Eva, Luzifer und Jehova hört, trägt man als MormonIn sogenannte «Garments»: mit kleinen, geheimen Symbolen bestickte weisse Unterhemden und Boxershorts.

IndianerInnen sind eigentlich JüdInnen

Verneinen kann Weibel dafür die Frage nach der Polygamie: Sie wird in der «Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage» nicht mehr praktiziert, denn MormonInnen unterwerfen sich den Gesetzen eines weltlichen Staats, auch wenn diese der reinen Lehre widersprechen. «Wir versuchen, den Staat zu akzeptieren», sagt Weibel dazu.

1820 sind Joseph Smith Gott und Jesus erschienen. Insgesamt 50 göttliche und biblische Figuren hat er auf diese Weise kennengelernt. Der Engel Moroni gab ihm den Auftrag, mit Hilfe von zwei «Sehersteinen» einen Text von antiken Goldplatten ins Englische zu übersetzen – so entstand DAS BUCH MORMON. Bild: Wikimedia Commons

Bei solchen Fragen konsultiert der «Prophet» in Utah Gott – so auch im Jahre 1978, als es um die Gleichberechtigung der AfroamerikanerInnen ging. MormonInnen glauben, dass diese von Kain abstammen, welcher als Strafe für den Mord an Abel mit dunkler Hautfarbe bestraft wurde. Die «Neger» sind damit durch die Sünde Kains – oder gemäss anderer Interpretation, weil Ham seinen Vater Noah nackt sah – schwarz und verflucht, «Diener aller Diener» zu sein.

Als diese Doktrin – und entsprechende rassistische Aussagen von Kirchenobersten – immer mehr zum Problem wurden, gewährte man 1978 auch Schwarzen vollen Zugang zum Mormonentum. Die Lehre der Kirche über den Ursprung dunkler Hautfarbe hat sich allerdings nicht geändert. Apropos Rassenfrage: Weibel bestätigt, dass Mormonen glauben, die amerikanischen UreinwohnerInnen stammten vom jüdischen Volk ab, die vor der Zerstörung Jerusalems flüchteten, um das heilige Land in der Neuen Welt wieder aufzubauen. Dort gehört es schliesslich auch hin, denn der Garten Eden lag laut mormonischer Lehre in Jackson County, Missouri.

Nach den wichtigsten Unterschieden zu anderen christlichen Glaubensrichtungen gefragt, sagt Guido Weibel: «Wir werden erst mit acht Jahren getauft, und wir taufen tote Vorfahren. Jeder Priester hat eine Vollmachtslinie, die auf Jesus Christus zurückgeht.

Gott Vater, Jesus und der heilige Geist sind drei Personen, wobei nicht nur der Sohn, sondern auch der Vater einen Körper hat. Und die Ehe wird für die Ewigkeit geschlossen, nicht ‹bis dass der Tod euch scheide›». Ja, Mormonen seien Christen, sagt Weibel. Doch ihr Glaube unterscheidet sich von demjenigen «normaler» Christen. Deshalb arbeitet die «Kirche der Heiligen der letzten Tage» auch nicht mit anderen Kirchen zusammen, wie Weibel klarstellt: «Von der Lehre her können wir für die Ökumene nicht Hand bieten.»