Spott ist tot, es lebe Gott

In der Schweiz ist das Verspotten von Gott in der Öffentlichkeit nicht erlaubt. Der Gläubige wird per Gesetz vor Spott geschützt. Nur wenige wagen, das Gesetz in Frage zu stellen.

Der Glaube hat einen Sonderstatus in der Schweiz und geniesst besonderen Schutz. Der Artikel 261 «Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit» im Strafgesetzbuch dürfte wenigen bekannt sein. Doch aufgepasst, denn dieser droht jedem eine Geldstrafe an, der «öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt».

Auf dem Heimweg von der Kammgarn sollte man sich also lieber ein bisschen zusammenreissen und erst an die Clientis statt ans Münster pinkeln. Allenfalls könnte sonst ein «Gegenstand religiöser Verehrung verunehrt» werden und neben einer Busse für öffentliches Urinieren theoretisch eine zusätzliche Strafe drohen.

Anwendung mit Zurückhaltung

Zum Glück nur theoretisch, denn das Bundesgericht hat bereits 1982 einen Leitentscheid gefällt, der bei der Anwendung des Artikels Zurückhaltung verlangt. «In der heutigen pluralistischen Gesellschaft erscheint es angezeigt, die Strafbarkeit von Meinungsäusserungen gemäss Art. 261 StGB – seien sie auch fragwürdig, geschmacklos oder grob provozierend – auf jene Fälle zu beschränken, in denen der Täter vorsätzlich den öffentlichen Frieden gefährdet, die notwendige Toleranz vermissen lässt und andere in ihren Grundrechten beeinträchtigt.»

Regelmässige Verurteilungen

Dennoch, dreimal jährlich kommt es im Schnitt zu einer Verurteilung. In der Schweiz traf es 2012 zum Beispiel einen Bergführer, der Gipfelkreuze demolierte, weil er sich an den religiösen Symbolen störte. Weshalb aber braucht es eigentlich ein besonderes Gesetz, welches die Glaubens- und Kultusfreiheit schützt? Würde in solchen Fällen nicht auch Sachbeschädigung als Tatbestand reichen?

Die BElEIDIGUNG von Gott, der Kirche und PriesterInnen HAT TRADITION. Debatten darüber, wie weit diese gehen dürfen, haben unter anderem die Satiremagazine Titanic und Charlie Hebdo entfacht.

Joachim Finger, der Co-Dekan der Evangelisch-Reformierten Kirche Schaffhausen, antwortet mit einer Gegenfrage. «Warum soll man das Verspotten des Glaubens erlauben?», fragt er. «Gemeinheiten und Beleidigungen öffentlich verbreiten zu dürfen, ist für mich ebensowenig Bedingung für eine reife Demokratie wie offensichtliche Unwahrheiten publizieren zu dürfen.»

Es geht jedoch nicht um die Frage, ob «Gemeinheiten und Beleidigungen» erlaubt werden sollen – sie sind durch andere Gesetzesartikel verboten –, sondern darum, ob ein separater, zusätzlicher gesetzlicher Schutz nötig ist, wenn Spott religiöse Gefühle oder Gegenstände trifft.

Und: Wenn sich Joachim Finger vorstellt, dass in einer «reifen Demokratie» bestimmte Ansichten im Vornhinein herausgefiltert und damit auch nicht breit diskutiert werden sollen, dann zeugt dies kaum von demokratischem Verständnis.

Keine Kritik von der SP

Auch Joachim Cabezas, der Co-Dekan der Katholischen Kirche Schaffhausen, hält das Spott-Verbot für sinnvoll. «Wenn Prophet Mohammed ins Lächerliche gezogen wird, dann geht das zu weit. Insbesondere in der Öffentlichkeit sollte man die Sau nicht so rauslassen. Bei einem Bier mit Freunden ist das etwas anderes.» Er bringt jedoch ein weiteres Argument ins Spiel: «Strafen sind wohl nie eine Lösung. Aber wenn es gesetzliche Regelungen gibt, ist das besser, als wenn Menschen meinen, das Strafgericht Gottes selbst vollziehen zu müssen. Der Staat muss Frieden sichern, dafür braucht es eine schriftliche Grundlage.»

Dass der Religionsfrieden bewahrt werden muss, ist eine Sache. Dass aber aus Angst vor mutmasslichen TerroristInnen das Verspotten von Gott per Gesetz verboten ist, eine andere. Es sei dahingestellt, ob diejenigen, die sich zu einem Anschlag wie jenen auf Charlie Hebdo entscheiden, tatsächlich den Rechtsweg wählen würden.

Der Artikel 261 findet dennoch nicht nur bei den KirchenvertreterInnen, sondern auch bei den Schweizer Parteien Rückhalt. «Dieser Artikel soll in erster Linie den Schutz der Religionsfreiheit gewährleisten. Die Religionsfreiheit, die auch in der Bundesverfassung geschützt ist», so SP-Mediensprecher Michael Sorg nach dem Attentat auf «Charlie Hebdo» gegenüber SRF.

Es gibt allerdings zahlreiche andere Gesetze, welche die Ausübung der Religion sicherstellen. Zum Beispiel die Rassismus-Strafnorm (Art. 261bis STGB), die sich neben der Religion auch auf Ethnie und Rasse bezieht und zur Durchsetzung des Verfassungsartikels herangezogen werden kann.

Wer jemanden beleidigt, kann wegen Beschimpfung belangt werden, wer religiöse Gegenstände zerstört, wegen Sachbeschädigung, und wer einen Gottesdienst mit Lärm stört, wegen Ruhestörung. Und das sind nur einige der gesetzlichen Handhabungen, die man herbeiziehen kann, um die Religionsausübung zu garantieren.

«Verlustfrei streichen»

In diese Richtung argumentiert auch der Freidenker Andreas Kyriacou in seinem Blog: «Der Artikel 261 kann verlustfrei gestrichen werden». Die «üblichen Rechtsgarantien auf Hausfrieden, Eigentumsschutz, Schutz vor Verleumdung, freier Meinungsäusserung usw.» seien ausreichend, schliesslich müssten alle anderen Gruppierungen wie Parteien, Vereine oder Interessengruppen auch mit diesen Gesetzen auskommen.

Offensichtlich sind es wenige, die es wagen, Kritik an der jetzigen Gesetzesregelung anzubringen. Die Gründe sind wohl vielfältig: aus Vorsicht angesichts möglicher Attentate, wohl aber auch, weil die Diskussion viele komplexe Fragen juristischer und moralischer Natur nach sich ziehen würde. Die geschmäcklerischen Debatten darüber, was Satire darf und welche Karikaturen gerade noch so gehen, sollten aber nicht von der Frage ablenken, ob man dem Glauben einen gesetzlichen Sonderstatus zugestehen will.