«Ich rechne damit, dass ich verhaftet werde»

Nach turbulenten Szenen im kosovarischen Parlament in Pristina besteht ein Haftbefehl gegen Faton Topalli, der jahrzehntelang im Kanton Schaffhausen lebte. Warum hat er im kosovarischen Parlament eine Tränengaspetarde gezündet?

Unruhen im Kosovo: Die Opposition kämpft gegen ein Abkommen mit der ehemaligen Besatzungsmacht Serbien. Das Abkommen hat einen sogenannten «Gemeindeverband» zum Ziel, welcher der serbischen Minderheit von 6 Prozent im Kosovo grössere Autonomität geben soll, aber auch den Einfluss Serbiens im Land verstärken würde. Die Regierung und die EU sind der Ansicht, dies würde die Integration der Serben im Kosovo fördern, die Opposition befürchtet eine Teilung des Landes und lehnt Verhandlungen mit Serbien grundsätzlich ab. Am 8. Oktober zündete Oppositionsführer Albin Kurti im Parlament eine erste Tränengaspetarde. Er wurde verhaftet, eine Demonstration konnte jedoch seine Freilassung erzwingen. Am 15. Oktober wiederholte sich die Aktion. Eine von zwei Petarden zündete dieses Mal Faton Topalli.

Faton Topalli, warum haben Sie im kosovarischen Parlament eine Tränengaspetarde gezündet?

Das war eine Reaktion auf mehrere Gesetzesübertretungen von Premierminister Isa Mustafa. Am 25. August hat er unter Vermittlung der EU ein Abkommen mit Serbien unterzeichnet. Das geschah hinter dem Rücken des Parlaments, als dieses im Urlaub war, und Isa Mustafa wollte dieses Abkommen nicht vom Parlament ratifizieren lassen. Das ist verfassungswidrig.
Der zweite Grund: Auch das Abkommen an sich ist im Widerspruch mit der kosovarischen Verfassung. Diese kennt nur Gemeinden als administrative Einheiten, aber keine Gemeindeverbände mit exekutiven Aufgaben. Das Land würde in einen serbischen und einen albanischen Teil getrennt. So kann die Integration der serbischen Minderheit nicht erreicht werden.

Im von Serbien besetzten Kosovo organisierte der Teenager FATON TOPALLI mit Osman Osmani (heute SP-Kantonsrat in Schaffhausen) Studentenproteste. Als die beiden erfuhren, dass sie von der Staatsmacht gesucht wurden, verliessen sie 1981 das Land Hals über Kopf, viele ihrer Freunde landeten im Gefängnis. Über Umwege erreichten sie die Schweiz und beantragten Asyl.

Topalli lebte während Jahrzehnten im Kanton Schaffhausen, wo er unter anderem am Aufbau der Menschenrechtstage beteiligt war. Als während und nach dem Kosovokrieg eine Flüchtlingswelle die Schweiz erreichte, arbeitete er als Dolmetscher, was zu einer langjährigen Anstellung beim Bundesamt für Migration führte. Nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos 2008 begann sich Topalli in seiner einstigen Heimat politisch zu engagieren, 2014 wurde er für die «Levizjie Vetëvendosje» in das kosovarische Parlament gewählt. Die Partei hält 16 von 120 Sitzen und ist die stärkste Kraft der Opposition. «Die Regierung bezeichnet uns als Kommunisten, im Westen nennt man uns Nationalisten», sagt Topalli über seine Partei, «wir sind aber weder das eine noch das andere. Wir verstehen uns als sozialdemokratische Partei.»

Es würde aber sich weniger radikale Mittel geben.

Wichtig zu wissen ist, dass wir vor dieser Tat 200’000 Unterschriften gesammelt haben, um Premierminister Isa Mustafa zu zeigen, dass grosse Teile der Bevölkerung gegen diese das Abkommen sind. Wir haben von Herrn Mustafa mehrmals verlangt, das Parlament über das Abkommen entscheiden zu lassen. Erst als er das alles ignorierte und einfach Macht demonstrierte, entschieden wir uns gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien, auf diese Weise zu protestieren. Das ist sicher nicht der Weg, den wir wollen, aber in dieser Situation blieb uns nichts anders übrig.

Die Botschaft, die nach Westeuropa dringt, lautet: Die Opposition wehrt sich gegen die Integration der serbischen Minderheit.

Wir sind nicht gegen die Integration und die Rechte der Serben im Kosovo. Als Bürger sollen sie die gleichen Rechte haben, die auch Kosovoalbaner haben. Mit diesem Abkommen passiert aber das Gegenteil der Integration, die sich die EU erhofft, nämlich die Teilung des Landes.

Wie soll man nach Ansicht der Vetëvendosje mit der serbischen Minderheit umgehen?

Darüber wollen wir nicht mit Serbien sprechen, sondern mit den Serben im Kosovo. Sie sollen alle Bürgerrechte haben und mitentscheiden können – es gibt ja auch Gemeinden, in denen sie in der Mehrheit sind. Es kann aber nicht sein, dass Gemeindeverbände exekutive Kompetenzen erhalten, die nicht in der Verfassung verankert sind.

Vor fünf Jahren hat sich die Vetëvendosje entschieden, an den Wahlen teilzunehmen. Durch diesen Schritt hat sie und viele Mitglieder des radikalen Flügels, der weiterhin auf der Strasse kämpfen wollte, verloren. Heute ist sie die grösse Oppositionspartei im Parlament und regiert sogar die Hauptstadt Pristina. Deshalb erstaunt es, dass Sie nun solche Massnahmen ergreifen.

Obwohl wir die Mitarbeit im Parlament nutzen, gehören auch andere demokratische Instrumente wie Proteste und Demonstrationen zu unseren Mitteln. Das braucht es, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung äussern können.

Sie sagen Protest, aber wenn Sie im Parlament Tränengas zünden, sprechen andere von einem Angriff.

Die Polizei setzt massiv Tränengas gegen Demonstrationen der Opposition ein. Im Parlament ging es um zwei Petarden. Die Regierung verstösst gegen die Verfassung und arbeitet mit kriminellen Organisationen zusammen – das sehen übrigens auch die USA und die EU so. Dagegen waren unsere Petarden eine symbolische Aktion.

Albin Kurti wurde verhaftet, nachdem er eine Woche vor dir im Parlament eine Petarde gezündet hatte. Rechnen Sie mit strafrechtlichen Kosequenzen?

Albin Kurti wurde gesetzwidrig, ohne Haftbefehl oder Anklage der Staatsanwaltschaft verhaftet. Auch als eine Demonstration seine Freilassung erreichte, wurde ihm nichts Schriftliches abgegeben. Er wurde also aus politischen Gründen festgehalten. Das zeigt das Gesicht dieses korrupten Systems, das auf die Unzufriedenheit der Menschen und der Opposition mit Verhaftungen reagiert und die Verfassung mit Füssen tritt. Ja, ich rechne damit, dass ich auch verhaftet werde.