Holzverstaubtes Herzblut

Die Häuser der Neustadt stecken voller Überraschungen, so auch die Nummer 38, wo es unter anderem auf den Leib geschnittene Instrumente und ein professionelles Tonstudio gibt.

Die unscheinbare Fassade der Neustadt Nummer 38 steht in ziemlichem Kontrast zum Innenleben: Ein kreativer Künstlerkosmos hat sich dort zusammengefunden, ein Haufen ideenreicher Köpfe mit selten gewordenen Berufen: Eine Siebdruckerin, eine Polsterin, ein Fotograf, drei Musik-Studio-Betreiber und zwei Instrumentenbauer bilden aktuell das in einem Verein organisierte MieterInnen-Kollektiv, das die ehemalige Matratzenfabrik seit 1991 nutzt.

Damals hatte sich herumgesprochen, dass das Haus leer stand. Vor allem in der Schaffhauser MusikerInnenszene waren Proberäume und Ateliers gefragt, und bald hatten sich InteressentInnen gefunden. Die mittlerweile verstorbene Besitzerin, eine alte Dame, freute sich damals sehr, dass sie den «jungen, flippigen Leuten» geeignete Räumlichkeiten bieten konnte – zu günstigen Mieten, was sich bis heute nicht geändert hat.

Saitensprünge willkommen

Im Durchgang zum Hof weist eine blaue Tür mit einer halben Gitarre den Weg in die Werkstatt von Peter Demmerle und Andreas Hinz. Dort machen die beiden genau das, was sie am liebsten tun: Instrumente bauen – der eine hochwertige Gitarren, der andere klangvolle Trommeln, ganz aus Holz. Peter Demmerle, der Gitarrenbauer, hat sich auf kleine Westerngitarren spezialisiert, «Smallbodies», die er unter dem Label «Tuggi Instruments» (seinem Spitznamen) vertreibt, baut und restauriert aber auch Irish Bouzoukis, Harfen und sogar Drehleiern. «Kleine Gitarren finde ich angenehmer zu spielen, ausserdem passen sie zu mir – ich bin ja auch nicht so gross», schmunzelt er. Als Ein-Mann-Firma steht er voll und ganz hinter seinen Instrumenten, die er an MusikerInnen, vor allem in der Schweiz, verkauft. Zudem macht er Reparaturen, zum Beispiel für Bands, die hier gerade auf Tournee sind und auf sein handwerkliches Geschick zählen können.

PETER «TUGGI» DEMMERLE hat die Werkstatt an der Neustadt 38 im Jahr 1998 übernommen. (tuggi.ch) Bilder: aw.

Angefangen hatte damals alles mit einer Harfe: Tuggi interessierte sich brennend für die filigranen Instrumente und sah sich nach einer Möglichkeit um, ein solches zu erstehen. Ein Harfenbauer riet ihm, doch gleich selber eine zu bauen. Das tut er auch heute noch, allerdings sei die Nachfrage eher gering: «Ich mag Harfen mit weichem Klang, die in der klassischen Konzertwelt momentan aber nicht sehr gefragt sind.» So wartet im Moment lediglich eine seiner eigenen Harfen golden schimmernd auf der Werkbank auf ihre sorgfältige Restaurierung.

Mit dem Label habe er sich zwar einen Traum erfüllt, davon leben könne er aber nur bedingt, sagt der dreifache Vater. Es laufe gut, trotzdem habe er immer noch ein, zwei weitere Eisen im Feuer. Es gebe viel Konkurrenz, weil das Verständnis für handgemachte und qualitativ hochwertige Gitarren, wie Tuggi sie baut, nicht sehr gross sei, oder man sie sich nicht leisten könne: «Für einen Geiger oder eine Geigerin ist es selbstverständlich, dass eine Geige aus einem Atelier kommt und entsprechend viel kostet. Bei Gitarren gibt es diese Ansicht weniger». Zur Zeit könne er deshalb nicht die Preise verlangen, die es eigentlich bräuchte, obwohl es viele MusikerInnen gibt, die sein handwerkliches Können zu schätzen wissen.

Eine konventionelle Berufslaufbahn kam für Tuggi trotzdem nie infrage. «Ich begann ein Studium, das ich allerdings vernachlässigte, weil es mich immer wieder in die Werkstatt zog.» Eine Ausbildung zum Orgelbauer blieb ihm verwehrt, weil kein Meister des selten gewordenen Handwerks ihn in die Lehre nehmen konnte. So brachte er sich eben alles selbst bei, indem er seinem Vorgänger hier in der Neustadt 38 über die Schultern schaute. Dabei sprang der Funke über und nach fast zwanzig Jahren ist Tuggi immer noch sehr zufrieden mit seinem Lebensweg. «Man sollte sein Leben mit leben verbringen», betont er. «Wenn man schon darüber entscheiden kann, wie man es gestalten will, muss man das auch tun.»

Schlagzeug made in Schaffhausen

Das hat sich wohl auch Andreas Hinz gedacht, als er vor sieben Jahren das Label «Holzwäg – Swiss Custom Snares & Drums» gründete und 2011 in die Neustadt zog. Der gelernte Schreiner kombiniert damit seine handwerklichen Fähigkeiten mit seiner Musikleidenschaft: «Ich kann besser Drums bauen, als sie spielen», sagt er bescheiden. Das Herstellungsverfahren seiner Instrumente ist in der Schweiz sehr selten: Er biegt das hochwertige Holz mit Dampf, auf diese Weise kann das Instrument aus einem Stück gefertigt werden. Das Material verleiht den Trommeln einen warmen, kompakten Klang und bietet optisch viele schöne Kombinationen.

Andi hat die Technik selber entwickelt, auch die Werkzeuge und Hilfsmittel dazu. Seine Instrumente tragen den Namen «Holzwäg». «Holz steht für das verwendete Material und der «Wäg» ist sinnbildlich für die Erfahrung und Herstellung», erklärt Andi. Die Materialien bezieht er hauptsächlich aus der Region; die «Holzwäg»-Plakette zum Beispiel wurde von einem befreundeten Goldschmied aus Schaffhausen entworfen und für die Beschriftung der Drums muss er nicht mal aus dem Haus – ein paar Stufen weiter oben befindet sich Claudia Kistners Siebdruckatelier. Das ist Andi sehr wichtig: «Das Bewusstsein für regionale Produkte sollte sich nicht nur auf Lebensmittel beschränken.»

ANDI HINZ teilt sich die Werkstatt seit 2011 mit Tuggi. (holzwaeg.ch)

Da er auch Schlagzeuger in verschiedenen Bands ist und seine Instrumente selber spielt, kommt Andi oft in Kontakt mit anderen Drummern. «Die Gespräche mit anderen Schlagzeugern sind sehr interessant und für beide Seiten sehr bereichernd. Meine Instrumente stelle ich deshalb auch am Schaffhauser Jazzfestival oder momentan in der «Esse»-Jazzbar in Winterthur zur Verfügung.»

Seine Aufträge sind keine spontanen Käufe. Andi bewegt sich in der «Custom-Szene» der handgefertigten Atelier-Instrumente: Alles ist reine Handarbeit. Er braucht etwa eineinhalb Wochen pro Einzelstück. Die Testphase ist längst vorbei; nach einigen Jahren Erfahrung kann er heute aus dem Vollen schöpfen. Jeder Handgriff sitzt und Andi weiss genau, wovon er spricht, wenn er seine KundInnen berät: «Die Drums sind sehr sensibel in der Ansprache und haben ein breites Klangspektrum. Man muss damit umgehen können, kann dann aber auch viel rausholen.» Profis und KennerInnen schätzten das sehr. Gute Rückmeldungen spornen ihn an, er sei aber nicht auf Lob aus: «Aber es freut mich natürlich, wenn ich positive Reaktionen erhalte.» Seine Trommeln empfiehlt er Leuten, die sich wirklich darauf einlassen wollen: «Während des Bauens lerne ich das Instrument kennen. Wenn ich es dann dem Kunden übergebe, ist es an ihm, die Beziehung weiterzuführen.»

Es läuft bei Andi, vor eineinhalb Jahren hat er sich selbstständig gemacht. Mit seinem Label hat sich Andi einen Wunsch erfüllt und sieht sein Leben als Privileg: «Ich verbringe meine Tage mit dem, was ich am liebsten mache: Morgens stehe ich früh auf, setze mich erst einmal ans Schlagzeug und gehe danach in die Werkstatt, um an meinen Instrumenten zu bauen.»

Der Produzent als Psychologe

Olifr «Guz» Maurmann war einer der ersten, die damals in die Neustadt 38 einzogen. Mit seinen Musikerkollegen Tom Etter und Gavin Maitland richtete er sich in den ehemaligen Lagerräumen das «Star Track»-Studio ein. Anfangs wollten sie darin eigentlich nur ihre eigene Musik aufnehmen, doch in der gut vernetzten Szene sprach sich das neue Studio schnell herum. «Wir waren alles andere als professionell am Anfang und brachten uns alles selber bei», erzählt Guz. «Es ist toll zu sehen, dass etwas so Gutes daraus entstanden ist – wir haben uns allerdings auch darum bemüht.»

Das Studio sei für heutige Verhältnisse sehr geräumig, ein Pluspunkt angesichts der Konkurrenz, die zum Beispiel aufgrund der neuen Möglichkeiten des Home-Recordings seit Ende der Neunziger stärker wird. Damals war etwa der Demomarkt weggebrochen: «Jeder kann heute sein Demotape selber aufnehmen, dazu braucht es kein professionelles Studio mehr.» Wer aber etwas Solides will, geht nach wie vor ins Studio, denn Guz hat mehr zu bieten, als nur gute Technik: «Das Technische ist heute Nebensache, das läuft fast von alleine. Was wir bieten, ist Know-How.»

OLIFR M. GUZ führt seit 1991 ein entbehrungsreiches Leben als Produzent und Mischer im Startrackstudio, hat aber auch mal Zeit, in die Tuba zu blasen. (startrack.ch)

Guz ist Produzent; gemeinsam mit den Bands, die hier ihre Musik einspielen, arbeitet er an den Songs, berät und hilft den MusikerInnen auf die Sprünge. Das dauere mal länger, mal weniger lang: «Jazzsessions zum Beispiel entstehen aus dem Moment heraus, bei Popmusik wiederum kommt es auf jedes Detail an.» So werden aus halben Ideen ganze, und was hier rausgeht, ist garantiert gut. Guz nimmt sich aber auch Zeit dafür. Um die Bands kennenzulernen, geht er schon mal an Konzerte: Zuhören und Ausprobieren sei das Wichtigste.

Welchem Stil die Formationen folgen, spielt für ihn dabei keine so grosse Rolle. «Um eine gute Platte zu produzieren, braucht es kein breites musikalisches Wissen, sondern die richtigen Fragen: Was sind die Ambitionen der Leute? Wollen sie der Oma ein Ständchen aufnehmen oder gross rauskommen?» Manchmal gebe es Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen der Band und ihm als Zuhörer: Wenn der Lieblingssong doch nicht das erwartete Potential mitbringt, heisst es schon mal «Kill your Darling». Da brauche es ein gewisses Feingefühl, sowohl für die Musik als auch für die Leute: «Etwas Psychologie gehört dazu, aber das liegt mir recht gut.»

Man könne mit dem Studio nicht reich werden, sagt Guz, trotzdem würde er nichts anderes tun wollen: «Ich mache hier meinen Traumjob, so wie die meisten, die in diesem Haus arbeiten.» Technisch hat sich im Studio über die Jahre viel verändert, dennoch rennt Guz nicht allen Trends hinterher: «Das Meiste ist altgedient und funktioniert immer noch bestens.» Er sei kreativer geworden und mag es immer noch, zu experimentieren und Dinge auszuprobieren. Wie zum Beispiel klingt es, wenn man das Mikrofon direkt in die Gitarre legt? (Es klingt super.) «Ich folge keinem Schema, das ist nämlich gefährlich.» Musik dürfe nie langweilig sein, man müsse sie immer nachvollziehen können: «Ansonsten gibt es kein richtig oder falsch.»