Das letzte Dossier ist auf grosse Resonanz gestossen, insbesondere in kirchlichen Kreisen wurde die Ausgabe kritisch beäugt.
Vor einem halben Jahr hat sich der «Lappi» dem Thema «Christlicher Glaube» angenommen. Ein Entscheid mit Folgen. Selten hat die Lappi-Redaktion derart viele Rückmeldungen auf eine Ausgabe erhalten wie auf diese. Mehrere Pfarrer kündigten das Abonnement und sogar der Kirchenrat der Evangelisch-Reformierten Kirche befasste sich mit der Ausgabe.
Insbesondere das Formular zum Austritt aus den Landeskirchen wurde dem Lappi angekreidet. Bemängelt wurde, dass wir einerseits Freikirchen kritisch untersuchten, andererseits zum Austritt aus den Landeskirchen quasi aufgerufen hätten. Dass wir das Formular abdruckten, hat einen praktischen Grund. Während das Formular bei den Landeskirchen einheitlich ist, ist es bei den Freikirchen individuell.
Denn die Landeskirchen sind mit dem Staat eng verbunden, indem der Staat beispielsweise die Kirchensteuern einzieht. Über einen Austritt aus der Landeskirche wird auch der Staat informiert (Vergleiche Dossier «Kirche und Staat» im Lappi Nr. 4).
Aus Faulheit nicht ausgetreten
Entstanden ist die Idee übrigens, weil viele Redaktionsmitglieder nicht gläubig, aber aus dem einen oder anderen Grund dennoch nicht ausgetreten sind. Aus Faulheit zum Beispiel.
Aber wer verliert seinen Glauben, weil ihm ein Magazin ein Formular unter die Nase hält? Oder steht gar nicht der Glaube im Vordergrund, sondern die sozialen Aktivitäten der Landeskirchen? Können sie dank dieses Engagements auf zahlreiche ungläubige UnterstützerInnen zählen? Die Basis bröckelt auf jeden Fall. Den Landeskirchen könnten in Schaffhausen zwei Drittel der Mitglieder flöten gehen, sagte Matthias Gafner, Pfarrer in Hallau und Mitglied des Kirchenrates der Evangelisch-Reformierten Kirche Schaffhausen, in Lappi Nr. 4.
Buddhistische Neonazis
Dass wir die Freikirchen in den Mittelpunkt gerückt haben, liegt unter anderem gerade daran, dass sie es sind, die Zulauf haben. Die Landeskirchen dagegen verlieren seit Jahren an Mitgliedern und Einfluss.
Freikirchen wie die Mormonen und die Zeugen Jehovas berufen sich ebenfalls auf den «christlichen Glauben». Das gilt übrigens auch für Bischof Huonder, der Bibelstellen zitiert, wonach Homosexuelle mit dem Tod bestraft werden sollten. Und es gilt auch für Pegida, die vor einer Islamisierung warnen.
Der christliche Glaube sollte genauso wie der muslimische, der jüdische oder der buddhistische Glaube nicht zu einem Identifikationsmerkmal für den Sündenbock verkommen. In den Schweizer Medien wurde der Islam genug zerpflückt, deshalb fanden wir, dass Zeit ist, den christlichen Glauben zu zerpflücken.
Ja, es ist ein Rundum-Schlag. Und ja, es war eine Provokation. Aber wir sollten uns mit dem religiösen Fanatismus im Christentum genauso befassen wie mit den Auswüchsen anderer Religionen. Die Mehrheit der SchweizerInnen ist christlich, und das Christentum ist keineswegs immer harmlos.
Abgesehen davon findet man in jeder Religion idiotische Extremisten, die sich auf sie berufen. Zum Beispiel die Truppe «969», buddhistische Neonazis aus Burma.
«Distanzierung ist für mich nicht hilfreich»
von Markus Sieber, Pfarrer Steigkirche
Was mir am meisten gefällt, ist euer Humor (z.B. Wahl der Qual), und gerade beim Thema Religion ist das wichtig, weil es da so finstre Machenschaften gibt, wenn Menschen mit Drohungen und Angst eingeschüchtert werden. Für mich selber wäre die Religion genau das Gegenteil, nämlich auch da noch lachen zu können, wo es für andere todernst wird.
Allerdings ist der Humor eine grosse Kunst, und manches, was unter diesem Namen daherkommt, ist gar nicht so lustig (z.B. Charlie Hebdo oder die vielen fremdenfeindlichen und sexistischen Witze im Internet). Und so gibt es auch auf dem Gebiet der Religion guten und schlechten Humor. Schlecht ist zum Beispiel das Gefühl der Überlegenheit, wenn es darum geht, sich selber besser zu fühlen als die anderen. Der Respekt vor Menschen und ihren Lebensgeschichten ist für mich ein hohes Gut, auch wenn ich ihre Meinungen nicht teile. Und das gilt für Hindus und Mormonen, für Täufer und Muslime.
Darum ist es eine Gratwanderung, wenn man sich kritisch mit dem Thema der Religion auseinandersetzt und das ist sehr wertvoll. Richtig und nötig ist es auch, einmal nicht die gewalttätigen Verse des Koran, sondern aus der Bibel zu zitieren.
Leider aber ist das nur so herausgeschnitten (wie bei den Fundamentalisten) und nicht reflektiert, und gerade darin sehe ich meine Aufgabe als Pfarrer, mich damit auseinanderzusetzen, was diese Sätze bedeuten.
Im Dialog und auch Widerspruch versuche ich zu relativieren und zu verstehen, und darin sehe ich den Beitrag der Kirche und der Theologie, weil die Religion ja wirklich eine dunkle und gefährliche Seite hat und immer wieder missbraucht wird.
Es ist für mich nicht hilfreich, sich von der Religion nur zu distanzieren, sondern es braucht eine aktive Auseinandersetzung damit und daran arbeiten wir. Ich bin nicht in der Kirche, weil ich die Kirche für mich selber brauche, sondern weil es die Kirche braucht, um den Dialog in aller Offenheit zu fördern, weil die Religion ein Teil des Lebens ist und weil es darin um das Gemeinwohl geht.
«Schlecht gewichtet, oberflächlich und ungerecht»
von Ruedi Waldvogel, Ex-Pfarrer Trasadingen-Osterfingen-Wilchingen
Was Ihr aber hier publiziert habt, halte ich für schlecht gewichtet, oberflächlich und eine Folge mangelhafter oder verschwiegener Information und ungerecht.
Das Ganze kommt mir vor wie eine ideologisch bedingte Rundum-Keule gegen den christlichen Glauben. Informiert wird über zwei absonderliche, sich absondernde Ausprägungen christlichen Glaubens: über die Zeugen Jehovas und die Mormonen. Dazu über das (für die Kirchen der Reformation unbestritten beschämende) Schicksal der TäuferInnen.
Über den Vormarsch christlicher Fundis bei gleichzeitiger Marginalisierung des Christlichen in den diesbezüglichen politischen Parteien. Und über den altertümelnden Art. 261 im StGB. Dazu das lustige Qual-der-Wahl-Diagramm. Im Ganzen gewichtet ihr also religiöse Sondergruppen unendlich viel stärker als die Landeskirchen, die ihre Positionen theologisch fundiert und am Menschengerechten orientiert vertreten.
Ihr verschweigt, dass die Theologie durch die Aufklärung hindurch gegangen ist und alles andere als puren und eklektischen Irrationalismus vertritt. Das Bild, welches Ihr vom christlichen Glauben verbreitet, ist ein Zerrbild. Ihr zerrt den Glauben in die Ecke des spiessigen und irrationalen Sekten- und Freikirchentums. Warum schreibt ihr nicht einen Beitrag über die Bewegung der Religiös-Sozialen, welche in gut prophetisch-biblischer Perspektive Beiträge zu Religion und Sozialismus publizieren?
Es gibt an biblischer Sozialkritik orientierte Gesellschaftskritik, die in den theologischen Fakultäten im Fach «Sozialethik» gelehrt wird. Davon habt ihr offenbar keine Ahnung, oder schlimmer: Ihr wollt es nicht zur Kenntnis nehmen!
Die von euch monierten Zustände religiöser Gruppierungen benutzt ihr summarisch zur Motivierung des Kirchenaustritts. Ihr empfehlt den Austritt aus den im Vergleich zu Sekten und Freikirchen ebenso «obskuren» Landeskirchen. Die Landeskirchen selber kommen abgesehen von zwei kleinen Zitaten nicht zu Wort.
Für mich ist das verantwortungsloser Journalismus.
«Wir geben keine Austrittsempfehlungen ab»
von Joachim Finger, Pfarrer Beringen
Sie haben meine Zitierung von Rosa Luxemburg nicht veröffentlicht, die zu meiner zitierten Aussage dazugehört. Auch in einer Demokratie hört die Freiheit da auf, wo die des anderen tangiert wird. Und das heisst auch, wo andere in ihren religiösen Überzeugungen verletzt, herabgewürdigt, beleidigt wird. Kritik ist das eine, Beleidigung das andere. Wer nicht religiös ist, sollte zumindest so tolerant sein, es zuzulassen, dass Religion für einen anderen Menschen sehr bedeutsam sein kann.
Ja, es gibt nicht nur sektiererische Religion, sondern auch lebensnahe und menschenfreundliche. Sie haben in Ihrem grundsätzlich religionskritischen Dossier die Landeskirchen und die Sekten zwar in Nebensätzen auseinandergehalten, im Ganzen aber doch zusammengestellt. Und gleich noch gewissermassen empfohlen, nicht etwa aus Sekten, sondern aus den Landeskirchen auszutreten und ihnen kein Geld mehr für ihre sozialen Aktivitäten, für den interreligiösen Dialog, für die Mitwirkung an der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, für die seelsorgerliche Betreuung von Spitalpatienten und von Inhaftierten, etc. zur Verfügung zu stellen.
Ich muss schon sagen, ich finde das nicht sehr nett. Wir schreiben unseren Mitgliedern keine Briefe, in denen wir sektenhafte Parteien und etablierte, am Gemeinwohl interessierte und kooperative Parteien zusammen besprechen und gleich noch Austrittsempfehlungen abgeben.
Wir reichen allen die Hand, die sich für eine menschenfreundliche Gesellschaft einsetzen und verspotten Atheisten genauso wenig wie Muslime oder Buddhisten (wir möchten nur von der anderen Seite denselben Respekt). Wir betreiben über Fachstellen religiösen Konsumentenschutz, ohne die eigene Organisation und Nahestehende von der kritischen Betrachtung auszunehmen. Wir lassen aber auch andere Weltanschauungen stehen, sofern sie menschenfreundlich, und nicht etwa totalitär praktiziert werden.