Eine Grenzübertretung

Wir schlagen zurück. Und tourisieren zum Einkauf über die Grenze, denn ungestraft darf uns der Deutsche den Särbela nicht wegfressen.

Bilder: mg.

Man sagt ja immer, der Deutsche. Der Deutsche an sich ist in Ordnung, zuhause im Schwabenland. Aber der Deutsche, diese Billigfachkraft, überschwemmt unseren Arbeitsmarkt, der kambodschanische Monsun ist nichts dagegen. Der Deutsche ruiniert uns die Skipisten. Und der Sauschwabe, der frisst uns den Särbela weg.

Doch längst rächt sich der Schweizer. Jeweils samstags wagt sich der ansonsten eher réduitmässig veranlagte Hochpreisinsulaner aus seinem Gärtli und belagert grenznahe ausländische Kaufhäuser. «Einkaufstourismus» nennen dies die einen, «Zombieaufmarsch» andere; dritte wiederum machen sich über die reichsten Wirtschaftsflüchtlinge der Welt lustig. Fest steht: Die Schlacht von Verdun bliebe im Vergleich dazu nur eine müde Metapher.

Kultur

Das Minarett ist MAHNMAL DES ISLAMISIERTEN KONSTANZ und Wahrzeichen des Einkaufsmekkas. Ob die Stadt montags jeweils von Pegida-WutbürgerInnen belagert wird, konnten wir nicht in Erfahrung bringen.

Nun obsiegte beim Lappi aber doch die Neugierde; auch er will wissen, wie sich das privilegierte Wirtschaftsflüchten anfühlt. Also macht sich eine Dreierdelegation eines schönen Herbstmorgens mit dem Auto nach Konstanz auf – ins Herz der Masseneinwanderung.

Damit man uns auch als waschechte Migranten aus dem Süden wahrnimmt, bedienen wir uns in der Abteilung «Für stolze Füdlibürger (und Mainstream-Souvenirtouristen)» eines hiesigen Kaufhauses. Eingedeckt mit Schweizerfähnli, Schweizerkäppi und Schweizershirt geht es los über die Grenze. Wir fühlen uns wie Napoleon auf seinem Russlandfeldzug: frostig, aber kurz vor dem Sieg.

Nicht einmal Falkenbier

In Konstanz angekommen, fahren wir ohne Umweg zum «Edeka des Grauens, wo wer freundlich ist verliert» (Sven Regener, «Strassenbahn des Todes»). Wir suchen uns im Edekaeigenen Parkhaus einen Parkplatz, was gar nicht so einfach ist, denn überall umkurven uns dicke Autos mit Schweizer Kennzeichen. Doch das ist schön, Quietschgeräusche und Benzingeruch made in Switzerland erwärmen unser Patriotenherz. Uns ist, als organisiere Pro City wieder einmal einen Sonntagsverkauf in der Schaffhauser Altstadt, dabei ist ja erst Freitag und von einem Coca-Cola-Truck nichts zu sehen.

Wie dem auch sei, vor lauter Migrieren knurrt uns bereits der Magen, und so begeben wir uns auf die Suche – quer durch die Stadt – nach etwas Essbarem. Wie es sich in einer Schweizer Exklave gehört, begrüssen wir die Passantinnen und Passanten artig mit einem «Grüezi». Leider neigt die Deutsche an sich zum Grummeln, wenn sie Migranten erblickt, die Smartphones in der Hand halten und die neuste Schweizerkreuz-Kleidung (Bügelfalten!) tragen. Wir in der Schweiz, denken wir vorwurfsvoll, haben da schon eine freundlichere Willkommenskultur, man erinnere sich nur an diesen wunderschönen «Welcome»-Song der Volkspartei.

Dann taucht vor uns ein stattliches Gasthaus auf, das «Brauhaus Joh. Albrecht», unser zweiter Halt. Und wie auf der Tür angekündigt, öffnet das Lokal pünktlich um halb zwölf, gewissermassen die Schweizer Tugend adaptiert. Wir treten ein und lupfen unser Schweizerkäppi – halb zum Gruss, halb als Anerkennung der Pünktlichkeit, so verschwörerisch, wie das eben Kulturgenossen untereinander tun.

Gastronomie

Das MIESESTE LOKAL DER STADT bietet WEDER RÖSTI NOCH FONDUE an, sondern vor allem deutsche Fleischspezialitäten, deftige Sachen mit Spätzle (schmecken fast wie Spätzli). Kann man essen. Immerhin: Für gewöhnlich stammt mindestens die Hälfte der Gäste aus der Schweiz – quasi grenzüberschreitende Wirtschaftsförderung. Deshalb wird man vom Personal auch verstanden, wenn man «Merci» statt «Dankschön» sagt. Schade nur, dass man sich die Mühe nicht gemacht hat, Schweizer Bier zu importieren und nur im eigenen Haus Gebrautes serviert. Die Ambiance wäre geradezu skihüttenmässig heimelig, wenn sie nur nicht so deutsch wäre! Auch den «Blick» konnten wir nicht finden, stattdessen ein schlechter deutscher Abklatsch namens «Bild».

«Für mich Züri-Gschnätzlets, bitte», bestellt der eine Lappi. Und der zweite: «Händ Sie au Raclette?» Hochdeutsch sprechen? Sich anpassen? Nur über unsere rot-weisse Leiche.

«Nee», erwidert die Servierdame freundlich. «Und Fondü hamwa auch nich.» «Okay.» Schliesslich bringt man uns Deftiges: vom Rind, vom Schwein, vom Huhn – Hauptsache viel. Das Essen spülen wir mit einer guten Stange Kupferbier herunter, das für ein ausländisches Produkt ganz ordentlich schmeckt. Falken gibt es im «Joh. Albrecht» leider nicht.

Mit bleischwerem Magen schlendern wir zum «Edeka des Grauens» zurück. Wir nehmen uns drei Einkaufswagen und steuern die Hygieneabteilung an, wo wir die Karren bis oben hin vollpacken mit WC-Papier, günstige, blendend weisse Rollen, die das Sparherz eines jeden Wirtschaftsflüchtlings aus dem Süden höher schlagen lassen. Gut 88 Euro bezahlen wir für die 26-mal 24 Rollen, exklusive Mehrwertsteuer-Rückerstattung. An der Kasse fragt uns eine Frau, ob wir Probleme mit unserem Darm haben.

Wir verneinen und machen sie auf das Sparen aufmerksam. «Ahja, die Schweizer.» Und wir fühlen uns in der Tat richtig schweizerisch, so viel Geld wie wir eingespart haben. Im Vergleich zum Coop-WCPapier (624 Rollen) kommt unser Einkauf um satte 334 Franken billiger.

Aber interessant. Vor lauter Sparwut vergessen wir, dass wir für den Papierturm zu Babel viel zu wenig Platz in unserem Auto haben. Und die ganze Chose aufs Dach zu stapeln, scheint uns nach reiflicher Überlegung zu riskant zu sein.

Schliesslich beschliessen wir, einen Teil unseres Rollenarsenals in Konstanz zu lassen. Auch als Immigrant soll man ja etwas zum gesellschaftlichen Wohl des Landes beitragen – wenngleich es im echten Sinne des Wortes für den Arsch ist.

Am späten Nachmittag fahren die drei Lappis wieder über die Grenze. Zuhause angekommen, schreitet einer der Lappis stracks zum Kühlschrank. Und frisst einen Särbela, ohne Brot und Senf.