Verraten und verkauft

Die Schaffhauser Regierung will das Kantonsspital verkaufen, weil sie das Geld für einen Neubau verprasst hat – für Steuersenkungen. Ein Drama in fünf Akten.

Beim Kantonsspital geben die Bürgerlichen den Kurs vor, und zwar STRAMM NACH RECHTS. Bilder: js.

Es ist eine Kapitulation. Der Schaffhauser Regierungsrat sieht den Kanton nicht in der Lage, selber einen Neubau des Kantonsspitals zu finanzieren. Rund 200 Millionen Franken wären dafür nötig. Geld, das der Kanton nicht hat – zumindest laut Regierung. Darum will sie das marode Spital auf dem Geissberg an die öffentlich-rechtliche Anstalt «Spitäler Schaffhausen» abgeben. Die Führung der Spitäler Schaffhausen, der fünfköpfige Spitalrat, würde damit die Kompetenz erhalten, den 200 Millionen Franken teuren Neubau selbst in die Hand zu nehmen und könnte auch zukünftige bauliche Entscheide selbst treffen. Am 28. Februar wird das Schaffhauser Volk darüber abstimmen.

Aber wie kam es dazu, dass sich der Kanton Schaffhausen selber einen Neubau nicht leisten kann – oder will? Und gibt es eine Alternative zum Plan der Regierung?

Erster Akt: Was 2012 geschah

Rückblende: Noch zu Beginn des Jahres 2012 schlug die Schaffhauser Regierung vor, den Neubau des Kantonsspitals über höhere Steuern zu finanzieren – wie bereits in den 70er-Jahren, als das Spital zum letzten Mal saniert wurde. Konkret wollte die Regierung vier Steuerprozente einsetzen, über die Dauer von 38 Jahren (Nachzulesen in der Orientierungsvorlage der Regierung vom Januar 2012).

Kurz darauf entbrannte ein Streit darüber, ob es legal sei, den Spitalneubau über eine Steuererhöhung zu finanzieren. Die von der Regierung vorgesehene Finanzierung verstosse gegen das neue Bundesgesetz über die Krankenversicherung, das anfangs 2012 in Kraft getreten war, so der Vorwurf.

«SN»-Redaktor Erwin Künzi konfrontierte Gesundheitsdirektorin Ursula Hafner mit diesem Vorwurf und fragte sie (in den «SN» vom 27. März 2012): «Planen Sie beim Kantonsspital mit einer illegalen Finanzierung?» Ulla Hafner antwortete: «Das machen wir sicher nicht.»

Sie erklärte, dass der Neubau nicht direkt mit höheren Steuern, sondern mit den Mieteinnahmen finanziert werden soll.

Die «Spitäler Schaffhausen» zahlen dem Kanton seit 2006 für die Nutzung der Gebäude jährlich 10,5 Millionen Franken Miete. Der Kanton ist im Gegenzug dazu verpflichtet, die Infrastruktur und damit auch das Gebäude des Spitals aufrecht zu erhalten. So wie es jeder Liegenschaftsvermieter tun müsste.

Doch das Geld aus den Mieteinnahmen ist futsch. Das gab Ursula Hafner im selben Interview mit Erwin Künzi zu: «Dieses Geld floss (…) nicht in einen Erneuerungsfonds, sondern in die allgemeine Staatsrechnung und wurde dort für andere Investitionen sowie für Steuersenkungen eingesetzt. Jetzt, wo es an den Neubau des Spitals geht, fehlt dieses Geld. Deshalb wird nun ein Steuerzuschlag nötig.»

Fazit: Die Finanzierung eines Neubaus mit den Mieteinnahmen der «Spitäler Schaffhausen» ist möglich. Aber: Die Regierung hat kein Geld dafür zur Seite gelegt.

Die 10,5 Millionen Franken an jährlichen Mieteinnahmen nutzte sie stattdessen, um die Steuern zugunsten der Reichen zu senken. Spät, aber noch nicht zu spät, wollte die Regierung umschwenken. In Zukunft sollten diese Mieteinnahmen für den Spitalneubau verwendet werden. Das wiederum hätte bedeutet, dass dieses Geld in der Staatsrechnung fehlt. Um dieses Loch zu stopfen, sei laut Ursula Hafner eine Steuererhöhung notwendig.

Zweiter Akt: Was danach nicht geschah

Von diesem Plan ist die Schaffhauser Regierung in der Zwischenzeit bekanntlich abgerückt. Aber warum?

Der Grund dafür liegt ebenfalls rund dreieinhalb Jahre zurück. Im Juni 2012 debattierte der Schaffhauser Kantonsrat über die erwähnte Orientierungsvorlage der Regierung. Und stiess mit der geplanten Steuererhöhung bei den Bürgerlichen auf taube Ohren.

So sagte Felix Tenger, damals FDP-Kantonsrat: «Die FDP/CVP-Fraktion wird einer Spitalvorlage mit einer Objektsteuer nicht zustimmen». Und Thomas Hurter (SVP) doppelte nach: «Meiner Meinung nach hat die Vorlage, solange sie einen Steuerzuschlag enthält, keine Chance». Nachzulesen im Ratsprotokoll vom 11. Juni 2012.

Offen bleibt, bei wem die Steuererhöhung nach der Meinung von Thomas Hurter keine Chance habe. Bei den Kantonsräten von FDP und SVP? Oder beim Stimmvolk? Fakt ist, das Stimmvolk wurde dazu nie befragt.

Dritter Akt: Die katastrophale Steuerpolitik

Die Haltung der Bürgerlichen ist konsequent. Würden sie nun einer Steuererhöhung zustimmen, würden sie zugeben, dass ihre Steuerdumpingpolitik fehlerhaft war. Dem Kanton Schaffhausen entgehen wegen der Steuersenkungen seit 2001 mittlerweile jährlich 75 Millionen Franken. Das bestätigte die Schaffhauser Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel zuletzt an der Budgetdebatte im November des letzten Jahres im Schaffhauser Kantonsrat.

Konkret hat der Kanton Schaffhausen 2008 die Gewinnsteuer von Unternehmen reduziert und den Steuerfuss viermal (2002, 2003, 2005 und 2007) um insgesamt 12 Prozentpunkte gesenkt. Weiter hat er die 13. Progressionsstufe abgeschafft. Personen wie der reichste Schaffhauser Giorgio Behr (Vermögen gemäss «Bilanz»: 400-450 Millionen Franken) zahlen darum prozentual praktisch gleich viel Einkommenssteuern wie jemand mit einem Einkommen von 210’000 Franken.

Finanziert wurden diese Steuersenkungen zumindest teilweise auf Kosten des Spitals.

Vierter Akt: Mitspracherecht streichen

Seit der Ratsdebatte Mitte 2012 ist auch die Regierung umgeschwenkt und bringt nun eine Vorlage ohne Steuererhöhung vors Volk.

Einziges Problem: Das Stimmvolk könnte dem Plan der Regierung noch in die Quere kommen. Die Lösung dafür liegt aber ebenfalls bereits in der Vorlage versteckt. Bei einer Übertragung des Spitals an den fünfköpfigen Spitalrat – der übrigens aus zwei Ökonomen, einem ehemaligen Vertreter einer Privatklinik, dem Präsident des Verbandes der Zürcher Krankenhäuser, die mit dem Schaffhauser Spital in direkter Konkurrenz stehen, und Ulla Hafner besteht – hat das Stimmvolk nämlich gar nichts mehr zu sagen. Der nicht vom Volk gewählte Spitalrat kann selber bestimmen, was mit den 200 Millionen Franken passiert.

Zum Vergleich: Wollen Kantons- und Regierungsrat mehr als drei (!) Millionen Franken ausgeben, muss die Bevölkerung zwingend darüber entscheiden. Das Stimmvolk wird mit der Spitalvorlage somit zum stillen Zuschauer degradiert.

Aus direktdemokratischer Sicht noch viel bedenklicher ist aber, dass die Schaffhauser Politelite das Stimmvolk nicht einmal zum geplanten Spitalverkauf befragen wollte. Die zuständige Kommission sprach sich mit sieben zu einer Stimme bei einer Enthaltung gegen eine Volksabstimmung aus. Erst als sich Widerstand regte, stimmte eine Mehrheit im Kantonsrat für eine freiwillige Volksabstimmung.

Fünfter Akt: Privatisierung vorbereiten

Die vorgesehene Übertragung der Liegenschaften an die Führung der «Spitäler Schaffhausen» ist zwar rein formell keine Privatisierung, aber faktisch ein weiterer Schritt in diese Richtung. Und vor allem ist es der zweitletzte und bedeutendste aller Schritte auf dem Weg zum privatisierten Spital.

Nahezu jede Spitalprivatisierung in der Schweiz wurde genau gleich aufgegleist wie derzeit in Schaffhausen. Erster Schritt: Spitalbetrieb ausgliedern an eine öffentliche-rechtliche Anstalt (in Schaffhausen 2006 passiert). Zweiter Schritt: Übertragung der Liegenschaften und Mitsprache des Stimmvolks beschneiden (Abstimmung am 28. Februar 2016). Letzter Schritt: Formelle Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Anstalt in eine Aktiengesellschaft und Verkauf der Aktien an Pharmakonzerne (wird bei einem Ja am 28. Februar wohl in ein paar Jahren kommen). Einen Schritt zurück gibt es nicht.

Mit genau dieser Methode hat der Kanton Bern – obwohl das Berner Stimmvolk 2005 eine Privatisierung der Spitäler an der Urne abgelehnt hat – seine Spitäler inzwischen in Aktiengesellschaften umgewandelt. In seiner aktuellen Strategie sieht der Berner Regierungsrat nun sogar den Verkauf von Aktien an Dritte vor.

In Schaffhausen steht Rechtsaussen-Politiker Erwin Sutter (EDU) an der Spitze desselben Vorhabens. Er gibt offen zu, dass das Stimmvolk lediglich ein Störenfried ist. Im Juni des letzten Jahres sagte er bei der Debatte im Kantonsrat, wenn das Volk nicht mehr mitbestimmt, gewinne die Führung der «Spitäler Schaffhausen» an «Flexibilität». Ein weiterer Vorteil sei, «dass der Neubau auf das betriebswirtschaftlich Notwendige begrenzt wird. (…) Zudem werden die Spezialisten der Banken den Businessplan sehr genau überprüfen, wenn die Spitäler am Markt Geld aufnehmen müssen.» Diese Banker würden dafür sorgen, dass «die Investitionen auf das Notwendige und Realisierbare beschränkt werden».

In Zukunft sollen also BankerInnen darüber bestimmen, was die Schaffhauser Bevölkerung an Leistungen im Gesundheitswesen noch beanspruchen darf. Im Gegensatz zum Schaffhauser Volk haben sie künftig ein direktes Mitspracherecht. Und besonders bizarr: Ebendieser Erwin Sutter kämpft in einem Komitee unter dem Slogan «Ja zum öffentlichen Spital» für die erwähnte Beschneidung der Volksrechte und den zweitletzten Schritt zum privatisierten Spital. Das ist purer Etikettenschwindel.

Was ist Plan B?

Ebensolchen Schwindel betreibt die Schaffhauser Politelite mit der Drohung, es gäbe keinen Plan B. Diese Angstmacherei hat das Schaffhauser Stimmvolk bereits beim Tourismusgesetz nicht überzeugt. Damals gab es zwar wirklich keinen Plan B – aber diesmal existiert er. Dank Gesundheitsdirektorin Ulla Hafner. Ihre Vorlage aus dem Jahr 2012 ist Plan B. Man muss sie nur aus der Schublade nehmen, konkretisieren und dem Stimmvolk vorlegen. Dann kann das Schaffhauser Volk endlich sagen, ob es weiterhin ein öffentliches Spital in Kantonsbesitz haben und dafür eine Steuererhöhung in Kauf nehmen will.