Versägte Sagen

Eine Uhwiesener Autorin hat Lokalfolklore gesammelt. Weil es davon nicht genug gab, erfand sie selbst einige Sagen. Der Meier-Verlag veröffentlichte sie.

Bild: aw.

Sagen – faszinierende Geschichten mit ganz viel Lokalkolorit. Und deshalb ebenso oft und gerne Gegenstand sommerlicher Freilichtspiele auf dem Dorfe, bei Bratwurst, Brot und Pferdefuhrwerken.

Sagen sind per se verklärend, besser noch: haametverklärend. Fantasievoll und fantastisch, manchmal überhöht, aber immer mit einem Stückchen Wahrheit im Kern, rühren sie am Gemüt der Menschen, zumindest denjenigen, die einen gewissen Hang zum Vergangenen haben und ab und zu Gespenster sehen. Sagen gibt und gab es schon immer und überall, sie gehören nicht erst seit den Gebrüdern Grimm zum kulturellen Erbe, auch Schaffhausen ist da zum Glück keine Ausnahme. Hier ist der Sagenschatz reich, sicherlich nicht zuletzt wegen des mystischen, uralten Rheins, tosender Mittelpunkt so mancher Geschichte.

Auf extradickem Papier

Wenn der Lokalpatriotismus allerdings zu sehr im Vordergrund steht, kann es vorkommen, dass einem der Stoff ausgeht. Genau das ist der Autorin Gisela Zweifel-Fehlmann in ihrem im Juni 2015 erschienenen Büchlein «Sagenhafte Geschichten aus der Gegend des Rheinfalls» passiert, in dem sie Erzählungen rund um den Rheinfall und ihren Wohnort Uhwiesen versammelt und illustriert.

Dies soll kein unüberlegter Verriss des Werkes einer Autorin werden, die bestimmt mit bestem Wissen und Gewissen an der Schreibmaschine sass – aber auch wenn man darüber nachdenkt, wird das Buch nicht besser. Denn leider gibt die thematische Beschränkung nicht gerade viel her. Und obwohl die Geschichten auf extradickes Papier gedruckt wurden und die Seiten grosszügig bebildert sind, bleibt die Neuerscheinung ziemlich dünn.

Die Autorin wollte offensichtlich an ihren engen Rahmenbedingungen festhalten, merkte aber wohl selber, dass sie damit nicht weit kommen würde. Doch die pensionierte Chorleiterin, Primar- und Klavierlehrerin wusste sich zu helfen und bereichert Uhwiesen nun mit noch nie erzählten Sagen, die sie ganz einfach neu erfand.

Dagegen ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden, das könnte sogar witzig sein; darüber hinaus sind die erdichteten Zeilen auch eindeutig als «Flunkereien» gekennzeichnet. Bloss – in den «Sagenhaften Geschichten» ist das Gefälle zwischen den altüberlieferten, von der Autorin nacherzählten Begebenheiten und den neu erfundenen Geschichten doch eher markant.

Es habe sie immer interessiert, wie die Gassen und Häuser in Uhwiesen zu ihren teils kuriosen Namen kamen, erklärt sie in der Sendung «Hüt im Gspröch» ihre Motivation. Aber anstatt zu recherchieren und den Ursprüngen der Bezeichnungen nachzugehen, hielt sie ihre eigenen Gedanken für unterhaltsamer.

Uhwiesen, fabuliert sie, hätte früher Unwiesen geheissen, weil dort fiese Ungeheuer, Ungeziefer und Unholde ihr Unwesen trieben, und – nachdem sie verbannt wurden – der liebe Gott den Unwiesern das «n» aus dem Namen nahm und ihnen dafür ein «h» schenkte. (Eine kurze Recherche auf ortsnamen.ch … nein, lassen wir das.) Auch für die Pfaffenschlappengasse in selbigem Ort hat die Autorin eine nette Geschichte erdacht: die Gasse sei zu ihrem Namen gekommen, weil ein allzu voreiliger Fasnächtler, verkleidet als katholischer «Pfaffe», von seiner Angebeteten einen Schwall Wasser abbekommen hatte und damit also eine Schlappe einstecken musste. Das war wohl auch der Autorin zu unglaubwürdig, deshalb schickte sie gleich noch zwei weitere Erklärungen nach.

Und dann ist da noch die kecke Geschichte um das Schaffhauser Wappentier, die fast ein bisschen unter die Gürtellinie rutscht: Der Schaffhauser Bock, geboren als schwarzes Böcklein unter lauter weissen Himmelsschäfchen, stiftet als Halbwüchsiger ordentlich Verwirrung unter selbigen, bevor er – im Himmel nicht mehr erwünscht – direkt auf dem gelben Leintuch der Schaffhauser Bürgermeistergattin landet – goldene Hoden inklusive (so profan werden diese natürlich nicht benannt, sondern als «Merkmal männlicher Reife» umschrieben). Man reibt sich ungläubig die Augen ob so viel munterer Fantasie. Määäh.

Dazu hat Frau Zweifel-Fehlmann – ganz Pädagogin – jeder Geschichte natürlich eine moralisch wertvolle Schlusspointe angehängt. Einen tieferen Sinn, der ihre persönliche Lebensphilosophie und Wertvorstellungen widerspiegle, wie sie erklärt. So dient zum Beispiel eine Sage über dem Fluss geopferte alemannische Pferde, die am Rheinfall herumspuken sollen, als Steilvorlage, um im gleichen Atemzug die Anti-Littering-Moralkeule zu schwingen. Sie gibt immerhin zu bedenken, sie sei schriftstellerisch und auch malerisch eine Amateurin, aber es erfreue sie einfach zu sehr, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Fair enough.

Ein reiner Nonsens-Text

In der letzten Geschichte spielt die Autorin dann noch mit den Wörtern Rhein/rein/Rain à la «Bei Niedrigwasser kann der Rheinfall zum Reinfall werden.» Eine Wortspielerei, ein «reiner Nonsens-Text», wie sie selber sagt. Das Prinzip hat man bereits nach zwei Sätzen begriffen, leider geht es in gleicher Manier noch zwei Seiten weiter, was zu einer harten, aber ehrlichen Konklusion verleitet: Der Erkenntniswert des Büchleins ist gering, man darf sich die 17 Franken getrost sparen.

Ein Heimweh-Mitbringsel

Natürlich ist es begrüssenswert, das Kulturgut Schaffhausens hochzuhalten, nur bleiben in diesem Fall die Absichten der Autorin schleierhaft. Geht es ihr tatsächlich um die Schaffhauser Sagenwelt, oder will sie unter dem Deckmäntelchen der Sagenüberlieferung nur ihre eigenen Ansichten verbreiten? Dass ihr Anspruch kein hoher ist, sagt sie selber: Die Geschichten sollen «unterhalten und erbauen». Sie sieht das Büchlein vor allem als nettes Mitbringsel für HeimwehschaffhauserInnen. (In deren Bücherregal es dann wohl verstauben wird.)

Schreiben darf jeder und jede, was er oder sie will, die Frage ist viel eher, wer so etwas herausgibt. Auf der Rückseite ihres Büchleins gibt der Verlag einen grosszügigen Einblick in Frau Zweifel-Fehlmanns Biografie.
Dort ist vermerkt, dass einige ihrer Texte bereits beim «August von Goethe Literaturverlag» erschienen sind. Ein Verlag, vor dem in Schriftstellerforen explizit gewarnt wird. Er soll «gerade ältere, nicht sehr internetaffine AutorInnen» abzocken. Ohne irgendjemandem irgendetwas unterstellen zu wollen, bleibt zu hoffen, dass Gisela Zweifel-Fehlmann nicht dazu gehört.

Neuerdings ist sie aber beim Meier Buchverlag untergekommen, der dem unbeholfenen Spiel mit Sagen und Geschichten eine Chance gab. Hoffentlich verfolgt dieser keine ähnlich unlauteren Ziele, sondern ist einfach nur in die sehr fade Falle der Haametverklärung getappt.