Königinnen des Bügelbrettpop

Leute rumkriegen, das können sie gut: Casiofieber geben Gas auf der Bühne, wer da nicht tanzt, ist selber schuld.

Bild: aw.

Schon interessant, was manche Leute zu Hause rumstehen haben. Zum Beispiel ein Bügelbrett. Das haben alle, klar, aber nicht jeder benutzt das Teil als Equipment auf der Konzertbühne. Casiofieber schon. Etwas, das die anderen nicht machen. Und auch die Instrumente des Duos sind, nun ja, speziell. Aber von vorne.

Vor zehn Jahren beschlossen zwei Frauen aus Schaffhausen, deren Band sich gerade aufgelöst hatte, weiterhin gemeinsam Musik zu machen. Als frisch gegründetes Duo suchten Dr. Vree und Nora Wonder nach passenden Instrumenten und fanden sie bei sich zu Hause: zwei Casio-Kinder-Keyboards. «Das war perfekt – und praktisch dazu, denn es war von Anfang an klar gewesen, dass wir beide singen wollten», sagt Vree Ritzmann, Klavierlehrerin und die eine Hälfte der Band: «Es war sehr reizvoll, herauszufinden, was man aus den Geräten alles herausholen konnte.» Und mit den Instrumenten war auch der Name klar: Casiofieber war auf Kurs.

Original Casio-Mukke

Der ganze Sound kam anfangs ausschliesslich aus den Casios: «Wir schlossen sie an zwei kleine Böxli an. Die ersten zwei Jahre spielten wir nur auf diese Weise. Das wurde bald etwas eintönig, trotz der 10 Beats und 100 Sounds, die in den Geräten stecken», sagt Nora Vonder Mühll, Schauspielerin und die andere Hälfte der Band.

Ein weiteres Problem war die Lautstärke der Beats, die im Verhältnis zum Rest sehr leise waren: «Deshalb versuchten wir, synchron auf die Taste zu hauen, die den Beat startet, damit es etwas lauter war.» Klingt mühsam, war es auch, deshalb werden die Beats heute bearbeitet und an den Konzerten ab i-Pod gespielt. Aber alles ist immer noch original Casio-Mukke.

Beeinflusst der typische Sound der Kinder-Keyboards die Musik des Duos? Einige Songs lassen Eighties-Synthesizer-Hymnen anklingen, andere haben die nüchterne Verspieltheit der Neuen Deutschen Welle. Trash-Discohits, Minipop, Bügelbrett-Pop.

Vree: «Natürlich beeinflussen die Casios unsere Musik. Mir gefällt aber schon ganz gut, was aus diesen kleinen Instrumenten kommt. Das ist echt erstaunlich. Es ist zwar billig gemacht, aber das hat eben was. Der Trashfaktor ist sehr wichtig, den soll man ja auch hören. Das Casio tut gar nicht erst so, als ob es ein richtiges Instrument wäre.»

Nicht perfekt, sondern aufregend

Und eben, das Bügelbrett: «Das war Vrees Idee!» – «Keine Ahnung, Frau am Bügelbrett, Frauenbild – ja, das hat wohl was. Aber vor allem ist es superpraktisch: Leicht, hat gerade genug Platz für die Instrumente. Wenn wir allerdings durch die Stadt laufen mit dem Ding, kommen mit Sicherheit etwa fünf Leute an, die noch ein Hemd zu bügeln hätten.» Dafür passt Casiofieber auf jede Bühne. «Wir sprechen ein breites Publikum an. Die Reaktionen sind aber immer unterschiedlich. Da wird erst kritisch geguckt, doch am Schluss heisst es dann: ‹Ach, hätte ich doch getanzt, jetzt ist es schon vorbei›.»

Die «Love»-Taufe im Cardinal zum Beispiel war eine Riesenparty, ein freudiger Heim-Gig. In Zürich, zwei Tage später, war es zäher. Vree: «Es dauerte, bis wir die Leute im Sack hatten. Aber das muss ich jetzt mal ehrlich sagen: Es gibt fast kein Konzert in meiner Erinnerung, an dem wir die Leute nicht rumgekriegt hätten. Das können wir halt schon gut.» Die zehn Jahre Bühnenerfahrung tun ihr Übriges.

Bild: Casiofieber

Nora: «Am Anfang bin ich immer auf und ab gehüpft vor lauter Aufregung, da litt manchmal die Genauigkeit darunter. Mittlerweile kann ich das vielleicht ein bisschen besser.» – «Ja, wir wollen gut und genau sein, andererseits ist es scheissegal, wenn mal was danebengeht. Es ist dieser Mix, der uns ausmacht: Es muss nicht perfekt sein, sondern aufregend – jetzt, in diesem Moment.»

Wie wichtig ist die Band den beiden Musikerinnen? Vree: «Bei Casiofieber kann ich meine Texte einbringen und sie auch singen. Hier sind wir beide an der Front.» – Nora: «Gerade jetzt, nach der intensiven Arbeit am neuen Album, ist mir die Band ziemlich wichtig, deshalb treibt es mich sehr um, dass wir kaum Möglichkeiten haben, aufzutreten. Letztes Jahr ging das besser, da ergab sich fast automatisch aus jedem Gig wieder ein neuer. In diesem Jahr ist das nicht so. Damit muss ich mich abfinden. Es ist nämlich ein wenig frustrierend, wenn man viel Zeit in etwas investiert, auf das niemand gewartet hat. Wir sind halt eine Hobby-Band, aber nach zehn Jahren mag man auch nicht mehr sagen, man sei noch ein Geheimtipp. Bisher habe ich es immer genossen, mein eigenes Ding zu kreieren, das die einen mögen, die anderen nicht. Das war mir egal. Aber im Moment nervt es mich, dass die Realität uns gerade so ohrfeigt.»

Kein Grund für Casiofieber, etwas an ihrem Konzept zu ändern, denn auch nach zehn Jahren ist den beiden Frauen der Casio-Sound nicht verleidet: «Im Duo zu arbeiten ist intensiver als in grösseren Bands. Zu zweit tüfteln wir so lange, bis wir beide es gut finden, wir fighten manchmal schon hart um eine Song. Und mit dem Proben sind wir als Duo auch flexibler. Das kommt uns sehr entgegen, wahrscheinlich gibt es uns deshalb noch.» Ausserdem: «Abgesehen davon, dass wir diese seltsamen Kinderinstrumente spielen, stellen wir uns keine Vorgaben. Wir machen das, was uns Spass macht, und sind eben nicht an einen Stil gebunden.»

Mit Erwartungen brechen

Die Songtexte schreiben beide, auch wenn sie unterschiedlich damit umgehen. Nora: «Vieles passiert unbewusst, deshalb ist es schwierig zu erklären, woher die Ideen kommen. Ich habe nicht alle Texte gleich gern – ich schäme mich sogar manchmal ein bisschen für sie.» – Vree: «Wirklich? Ich finde, meine Texte … müssen gesagt sein.» Sind die Lieder also politisch? Was heisst es eigentlich, politisch zu sein? Will man Werbung machen für eine Haltung? Vree: «Ich finde, dass ein Song eine Geschichte erzählen muss oder Gefühle wecken oder die Vorstellung anregen.

Deshalb ist ‹politische Musik› fast schon ein Schimpfwort für mich: Da steht jemand hin und sagt einem, was man zu denken hat. Das wollen wir nicht.» – Nora: «Ich möchte aber schon, dass meine Texte das Publikum interessieren. Sie erzählen von gesellschaftlichen und menschlichen Themen, die irgendwo alle angehen. Mein Ziel ist es, die Leute durch die Lieder anzusprechen.» – «Ja, in dieser Hinsicht verstehen wir uns ziemlich gut. Die Texte haben oft etwas Gebrochenes: Man sagt etwas und im nächsten Moment wird es wieder relativiert. Es gibt eben nicht nur die eine Richtung.»

Ein Musikvideo wollen die beiden übrigens auch endlich machen, das stehe schon lange an, sagt Nora. «Gut, dass du das mal wieder erwähnst.»