Naked In English Class ist eine Band. Und ein Künstlerpaar. Und es ist der Versuch eines bald 50-jährigen Fast-Popstars, von dieser kumpelhaften Wärme wegzukommen, für die ihn alle lieben im Städtli.
Jäh hämmert ein Deep-House-Bass los. Eine hypnotische Frauenstimme setzt ein, haucht «Sometimes i flap my arms like a humming bird». MDMA-Athmosphäre. Dann diese ungeschliffene Männerstimme. «Hmm, die kommt mir irgendwie bekannt vor», könnte man denken, liefe das Stück im Radio. Dann würde man sich besinnen: «Nein, kann nicht sein.» Dabei hatte man schon richtig gehört. Guz.
Auf dem psychedelischen Cover von «Counterfactuals» prangt zwar der Kopf von Olifr – vom Musiker hinter dem Maurmann steckt aber ziemlich wenig drin. Zumindest von dem Guz, wie wir ihn kennen.
«Irgendwann fragst du dich doch: Ist das noch adäquat, was ich da tue?», sinniert Besagter an einem Montagnachmittag bei Espresso in seinem Star-Track-Studio in der Neustadt. Er selbst scheint auf die Frage eine Antwort gefunden zu haben: Nicht so wirklich. Der 48-Jährige will nicht mehr nur der Kumpeltyp sein, der auf der Bühne bierseelige Wärme und Rock’n’Roll-Schweiss produziert. Also hat er vor einem Jahren begonnen, sich neu zu erfinden. Als «Naked In English Class», im Doppelpack mit der Basler Musikerin Taranja Wu. Das vorläufige Resultat der musikalischen Metamorphose hat das Duo nun auf Platte gepresst.
Instrumentale aus dem Compi
«Counterfactuals», so der Name der Scheibe, nennt man in der Philosophie Aussagen à la «Wäre W X gewesen, wäre Y Z». Oder in Guz’ Worten: «Wir wollen, dass bestehende Texte durch neue Musik aus dem Kontext gerissen werden.» Dieser Ansatz manifestiert sich auf der Platte in zehn Covers. «Zumindest für die SUISA sind es Covers», sagt Maurmann. Denn die Stücke lassen sich in der Tat nur schwerlich als das identifizieren, was sie einmal waren. Angelehnt ist das Konzept an die 70er-Jahre-US-Avantgarde-Band The Residents. «Gemerkt haben wir das aber erst später», so Guz.
Aus der fröhlichen 80s-Nummer «Love Bizarre» von Prince wurde die apokalyptische «Outrageous Sin». Die Täubelei eines infantilen Anwalts im Marx Brothers Film «Horse Feathers» aus den 30er-Jahren kommt bei Taranja/Guz als pathosgeschwängerte Hymne «I’m against it» daher. Und für die Verwandlungen musste das Duo nicht einmal zu den Instrumenten greifen. «80 Prozent der Instrumentale sind aus Samples aus unseren Plattensammlungen zusammenkompiliert», sagt Maurmann. Der Studioinhaber und Band-Mastermind – spielt Instrumentale auf dem Compi ein.
Ebenfalls neu: die Form – das Duo. «Ich wurde bei all meinen Bands irgendwann zum Kopf, habe die andern punkto Intensität abgehängt.» Bei Naked In English Class ist Guz nur noch der halbe Kopf. Die andere Hälfte, Taranja Wu, ist eigentlich Schlagzeugerin, schrummt gelegentlich die Gitarre, spielt in mehreren Formationen. Singen tue sie auch, sagt die Baslerin. Immer und überall, «aber nie auf der Bühne». Und das mit dieser Sirenenstimme – was für eine Verschwendung. Zum Glück bricht sie nun damit.
Etwa drei Tage die Woche beschäftigt sich das Duo mit dem neuen Projekt. Intensive Tage. Die Produktion sei aufwendig, es stehe viel Denkarbeit dahinter: Wie wollen wir uns präsentieren? Was wollen wir sagen? Wie sagen wir es? Die Umsetzung ist dann Pröblerei. «Das Sampeln ist ein Collagenspiel», sagt Guz. Dabei werde naturgemäss viel Ausschuss produziert: «Wir haben einige Leichen in der Schublade.» Umso schöner sei es, wenn ein Wurf gelinge, und Rückmeldungen wie «Jetzt habe ich erstmals darüber nachgedacht, was der Song aussagen will» kämen. «Sowas ist für uns das grösste Kompliment», so Taranja.
Nicht mehr der Geschichtenonkel
Was auf der Bühne passiere, nähmen die Leute nicht instinktiv auf wie bei einem Rock-Konzert, findet Olifr, mittlerweile beim zweiten Espresso. Ein Konzert des Duos ist eigentlich Kunstperformance. Die Songs reissen nie ab, werden wie ein Tuch ineinander verwoben. Als Kettfäden dienen sphärische Geräusche – denn «Geräusche regen das Denken an». Bühnensetup: Zwei Gitarren, Perkussion, zwei Loopstations. Bedient von zwei Kunstfiguren. Die Shows hätten eine gewisse Kälte, findet er. Sie widerspricht: Schauer könne es schon geben, aber keine Kälteschauer. Zwei halbe Köpfe haben auch zwei Meinungen. Und beide sollen im Projekt ihren Platz haben.
Unterstützt wird das Gleichgewicht dadurch, dass sich Alphatier Olifr auf der Bühne zurückhält. «Ich mache da nicht den Geschichtenonkel, den man von mir kennt», sagt er. Die Interaktion mit dem Publikum sei viel subtiler: «Wir sind Betrachtungsobjekte, malen auf der Bühne ein Bild, das verschiedene Sinne anregt.» Gestuhlte Konzerte? Kein Problem.
Vielen seiner Fans wird das nicht gefallen, weiss Guz. Auch nicht die Tatsache, dass er für Naked In English Class zwei fast fertige Guz-Alben auf die lange Bank geschoben hat. Doch wer würdevoll altern will, muss Opfer bringen.