Schleuderprogramm statt Spotify

Unser Autor wollte eigentlich bloss seine mottigen Kleider reinigen. Er fand sich mit einem Kater in Strassbourg wieder – und mit kritischen Gedanken zur Bewusstseinsindustrie von Spotify & Co.

DIE GROSSE ÜBERFORDERUNG: Wie wird dieser Junge dereinst Musik suchen? Im Internet, im Plattenladen? Gibts das Internet überhaupt noch, wenn er gross geworden ist? Bild: Martin Matjanec

Vor Kurzem gab meine Waschmaschine den Geist auf, ich hatte aber dringend Wäsche zu erledigen, da ich für zwei Tage nach Strassburg fahren wollte. Der Zufall war mein Freund und so traf ich draussen auf der Gasse einen hilfsbereiten Nachbarn. Nach einem kurzen Schwatz fand ich mich mit einer Flasche Wein und meinem Wäschekorb in dessen Wohnung wieder.

Während das Standard-Programm bei 30°C lief, unterhielten wir uns ein paar Häuser weiter an der Neustadt über Musik. Von Jamie Lidell über Zola Jesus bis hin zu Pink Floyd pfefferten wir uns eine ziemlich breite Musikpalette um die Ohren. Wir diskutierten, rauchten, tranken und ich schickte mir selbst Kurznachrichten mit Künstlernamen und Albumtiteln aufs Handy, während das Schleuderprogramm der Waschmaschine längst durch war und sich in meiner Birne fortsetzte. Schliesslich schlurfte ich mit vielen neuen musikalischen Einflüssen und meiner Wäsche unterm Arm durch die vernebelte Neustadt und warf mich zuhause ins Bett.

Vermeintliche Freiheit im Internet

Etwas mitgenommen und noch leicht überfordert stand ich am nächsten Tag im «L’Oncle Tom», einem kleinen Plattenladen in der Strassburger Altstadt. Ich rief meinen Wäschehelfer an, um ihn abermals um Unterstützung zu bitten: Meine eigenen Kurznachrichten vom Vorabend waren nur mehr bedingt zu entziffern. Bis auf eine Ausnahme konnte ich mir dennoch alle Scheiben besorgen, welche ich in meiner zermatschten Erinnerung für erstrebenswert hielt, und hatte, zurück in Schaffhausen, meine grosse Freude daran.

L’occase de l‘Oncle Tom heisst der PLATTENLADEN AN DER 119 GRANDE RUE IN 67000 STRASBOURG mit vollem Namen. Das magasin d’occasion für Vinyl-Tonträger ist schon seit über 20 Jahren in der Hauptstadt der Region Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine beheimatet.

Bezogen auf unseren Musikkonsum, war dieses Wochenende eine kleine Zeitreise: Vom klassischen Trägermedium auf Vinyl zur digitalen Tonspur aus dem Netz. Von einer begrenzten Sammlung an Musik zur weltweit grössten Bibliothek in unseren eigenen Rechnern. Geografische Grenzen sind mit dem Internet aufgehoben worden, was uns auf der Suche nach Musik die vermeintlich grosse Freiheit schenkt. Welche Folgen hat dieser rasante Sprung für unseren Musikkonsum?

Ein Spotify-Konto lässt sich kostenlos einrichten. Wer sich ab schrillen Werbejingles oder Pop-Ups nicht stört, kann Musik hören, ohne auch nur einen einzigen Rappen dafür zu bezahlen. Wer sich ausschliesslich nach zentralisierten Plattformen wie Spotify oder Youtube richtet, landet jedoch schnell bei einem algorithmisch gesteuerten Angebot aus massentauglicher Einheitsware. Songs von Interpreten, deren Majors die meisten Werbegebühren an diese Plattformen abdrücken oder die höchste Quote an Wiedergaben oder Käufen aufweisen, platzieren sich sofort im obersten Sichtfeld der User und sind automatisch in deren Fokus.

Menschen, die sich im Internet in Diskussionen mit Musik auseinandersetzen, Musik gezielt suchen und auch kaufen, gehören einer Minderheit an. Berthold Seliger verweist in seinem Buch «Das Geschäft mit der Musik» auf eine offizielle Datenerhebung des Bundesverbands Musikindustrie, wonach beispielsweise in Deutschland mickrige 3.7 Prozent aller Konsumenten mehr als 80 Euro jährlich für Musik ausgeben.

Dass diese 3.7 Prozent bereits als «Intensivkäufer» gelten und für knappe 50 Prozent des gesamten Umsatzes sorgen, liess mir die Kinnlade gen Keller sacken. Diese Intensivkäufer nutzen das Internet längst zu ihren Gunsten: Möglichkeiten dafür gibt es in Form von Blogs, Foren oder anderen kleinen Plattformen mehr als genug, auch wenn sie auf Google bestimmt nicht zuoberst erscheinen.

Darben an der Quote

Während sich diese Minderheit im musikalischen Sinne weiter entwickelt, darbt die Mehrheit an ihrer eigens zusammengeklickten Quote. Doch sind diese beiden Welten wirklich derart unvereinbar? Das wollte ich vom Autor des oben zitierten Buches persönlich wissen. Via E-Mail entwickelte sich eine Diskussion, in deren Verlauf mich Berthold Seliger auf ein paar Irrtümer hinwies.

Seliger spricht von der «Demokratisierung der Musik». Davon, dass alles nur einen Mausklick entfernt da ist und darauf wartet, von uns entdeckt zu werden (dass man von einem bestimmten Stück weiss, dieses aber nirgends hören kann, wird vermutlich kaum mehr vorkommen). Dass kleine Plattenläden zwar etwas Magisches umgibt, diese aber einer über 30 Millionen Stück starken Musikbibliothek nichts entgegenzusetzen haben. Und dass man sich beim Streben nach romantischen Werten wie «vinyl only» so einiges entgehen lässt.

Spotify als Suchmaschine

So konnte ich im Verlaufe unseres Gesprächs viel dazulernen. Dass ich mir zwischenzeitlich mein eigenes Spotify-Konto eingerichtet habe und dieses als Suchmaschine zweckentfremde, ist nur die eine Folge unserer Unterhaltung. Dass ich mir die entdeckte Musik im Anschluss als physischen Tonträger kaufe, ist für mich der perfekte Brückenschlag zwischen persönlicher Ideologie und technischem Fortschritt. Und sollte mir Spotify mal nicht weiter helfen, bleibt mir die Hoffnung auf eine kaputte Waschmaschine und einen hilfsbereiten, musikinteressierten Nachbarn.

Ein Beitrag von Armin Sommer