Das grosse Sterben

Odi motzt

JÜRG ODERMATT ist Musiker, Journalist und Ex-Schaffhauser

Der Munot steht noch, und der Rhein, alter Buddy, lässt weiter grünes Wasser vorbeilaufen. Aber sonst war’s ein grosses Sterben und Verschwinden in Schaffhausen.

Markus Werners Abgang traf ins Herz, auch wenn dieser schreibende Skeptiker und (Ver-)Zweifler neben vielem anderen das Sich-Unsichtbar- und Kleinmachen beherrschte wie vor ihm höchstens Robert Walser. Zum Warmwerden liegt allem Anschein nach jetzt noch weniger Ursache vor – nur der gut sortierte Buchhandel reibt sich die Hände und präsentiert die Werner-Romane adrett in den Auslagen.

Der in vielerlei Hinsicht grosse Matthias Gnädinger machte die Kunst schaffhauserdeutschen Fluchens schweizweit bekannt – und nicht nur im Spielfilm: Unvergessen seine zur besten Sendezeit in der «Tagesschau»-Hauptausgabe hingerotzte Schmähung nach der Kammgarn-Abstimmungs-Niederlage 1994, wonach es in Schaffhausen «7109 Schafseckel» gebe (die Nein-Stimmenden).

Gnädinger starb out of the blue, der Tod des Neuhauser Liedermachers Dieter Wiesmann war eher das Ende eines langen Fade-outs. Wiesmann lieferte die Hymne auf die Biederkeit des Kaffs «änne am Rhii» und erfreut bis heute Kinderherzen – auch in Erwachsenen – mit den Plitsch-Platsch-Hits seiner Götti-Platte «Matthias». Er brachte aber auch pionierhaft unseren kehligen Dialekt auf die musikalische Landkarte. Chapeau bzw. «Määäärsi» dafür!

Wenn wir bei Stichwörtern wie «Kaff» sind: Nicht fehlen in unserem Memento mori soll der langjährige Lenker des Schaffhauser Leitmediums. Obwohl es Norbert Neininger mit dem Regionalen gar nicht so hatte und es manchmal schien, als interessierten ihn die Leute in Tel Aviv mehr als jene in Beringen. Sei’s drum. N.N. schaffte es, den «SN» und dem ganzen daran hängenden Klumpen (Radio Munot, Schaffhauser Fernsehen) den romantischen Touch medialer Unabhängigkeit zu geben. Was man angesichts des seit über 460 Folgen im SHf laufenden wöchentlichen Dauerwerbespots called «Tele­blocher» dann doch lind anzweifelt.

Zum Verschwinden von älteren Männern in Positionen kam das Verschwinden von überregional bekannten Institutionen: André Jaeger machte seine «Fischerzunft» dicht, die «Hallen für neue Kunst» dislozierten nach Basel. Ob Schaffhausen so nochmals etwas provinzieller geworden ist? Was weiss ich?! Ich bin ja nicht Scheiss-Nostradamus. Was ich aber sehr wohl weiss: 7109 Schafseckel finden sich hier immer noch. Aber ­locker!

P.S.: R.I.P. Jeff Binoth, Pit Möller, Aladin al-Maghrabi!

P.P.S.: Die Deadline dieser Kolumne war der 8. April (sick!) Wenn sich der «Lappi» jetzt auch noch vom grossen Sterben anstecken lässt, wandere ich aus!