Transparenz und Most

Was der Lappi für Schaffhausen fordert, kann ausgerechnet Wil SG schon lange: Im Parlament transparent abstimmen.

Blick vom Schreibtisch eines Stimmenzählers im Stadtparlament Wil: Auf seinem Laptop und AUF EINER LEINDWAND wird das Abstimmungs­resultat ANGEZEIGT. Links im Bild ein Abstimmungsgerät und die graue Box, welche die Funksignale emfängt. Bilder: mg.

Das Parlament von Wil SG ist ganz anders, als wir es uns aus Schaffhausen gewohnt sind. Erstens steht auf den Tischen – na, was wohl bereit? Apfelmost. Zweitens findet die Debatte komplett in Schweizerdeutsch statt. Doch wir sind wegen eines ganz anderen Unterschieds an diesem Donnerstagabend nach Wil gereist: Wegen der elektronischen Abstimmungsanlage. Das System in Wil ist Vorbild für eine vom Lappi mitinitiierte Volksmotion.

Am 5. September 2016 hat der Schaffhauser Kantonsrat die Volksmotion «Transparente und effiziente Stimmabgabe» mit 40 zu 11 stimmen für erheblich erklärt. Die klare Mehrheit der Kantonsratsmitglieder will in Zukunft elektronisch abstimmen. Diese wegweisende Entscheidung war wohl auch davon beeinflusst, dass die Initianten nur Tage vorher in der «schaffhauser az» und auf Hinterzimmerpolitik.ch einen entscheidenden Zählfehler publik gemacht hatten: Auf eine Motion war nicht eingetreten worden, weil sich die Stimmenzähler verzählt hatten.

Nun wird das Ratsbüro eine Vorlage ausarbeiten, die regeln wird, wie die Volksmotion «Transparente und effiziente Stimmabgabe» umzusetzen ist. Das Büro kann sich dafür an denjenigen Parlamenten orientieren, die bereits elektronisch abstimmen – beispielsweise am Wiler Stadtparlament, das eine besonders günstige Lösung umgesetzt hat.

Zwölf Sekunden

Im Ratssaal von Wil geht ein Techniker zwischen den Stuhlreihen auf und ab. Er verteilt Geräte, auf denen die Namen der PolitikerInnen angebracht sind, auf die Plätze, und startet die Anlage. Er braucht dafür fünfzehn bis dreissig Minuten. «Man muss kein Informatiker sein», sagt der von der Stadt angestellte Techniker, «ein Weibel könnte das auch».

Bei der ersten Abstimmung des Abends geht es um einen finanziellen Beitrag an die Wiler Sportanlagen AG, die unter anderem das Fussballstadion betreibt. Die Parlamentsmitglieder stimmen ab: Wer für den Kredit ist, drückt auf die Taste 1, wer dagegen ist, 2, und wer sich enthalten will, drückt 3. 10 Knöpfe hat es auf den Abstimmungsgeräten, meist braucht man nur die ersten drei, die auch mit «Y», «N» und «?» angeschrieben sind. Sobald die Ratspräsidentin verkündet, dass abgestimmt wird, läuft ein Countdown von 12 Sekunden. Auf einem Sitzplan, der per Beamer angezeigt wird, färben sich immer mehr Sitze Grün, Rot oder Blau für Enthaltung, wer nicht abstimmt oder fehlt, bleibt grau. Wer falsch gedrückt hat, kann innerhalb der zwölf Sekunden nochmals korrigieren. Während der Abstimmung entsteht viel weniger Unruhe als im Schaffhauser Parlament, es gibt kein Stühlerücken, kein Geplauder. Ist der Countdown zu Ende, zeigen farbige Balken auf den Laptops der Stimmenzähler und auf einer Leinwand das Ergebnis.

Als die Ratspräsidentin den Beginn der Pause verkündet, schlendern die Ratsmitglieder in Richtung der Bar im Keller, um sich zu stärken – ParlamentarierInnen, Gäste und VertreterInnen der Presse erhalten auf Kosten der SteuerzahlerInnen etwas zu trinken (nicht nur Most) und Sandwiches.

Alle waren dafür

Der Lappi nutzt die Pause, um sich mit Stadtschreiber Christoph Sigrist zu unterhalten. Er war schon im Amt, als die Abstimmungsanlage eingeführt wurde, und zieht eine durchwegs positive Bilanz. «Niemand will wieder zurück», sagt Sigrist. «Früher gab es Fehler, manchmal mussten wir nachzählen. Es kam auch vor, dass Ratsmitglieder zweimal abstimmten, einmal für Ja und einmal für Nein.»
Technische Fehler habe es noch nie gegeben. Ganz selten habe ein Parlamentarier reklamiert, er habe doch «Y» gedrückt, seine Stimme sei aber nicht erschienen. In diesen Fällen wird kurz überprüft, ob es sich um technisches oder menschliches Versagen handelt – es war bisher immer Letzteres. Das System funktioniert einwandfrei. Uns hat interessiert, was die damaligen Gegner der elektronischen Abstimmungen heute sagen – es gab aber gar keine, weder links noch rechts.

So wird IN WIL ABGESTIMMT: meist braucht man nur die unteren drei Knöpfe für Ja, Nein und Enthaltung.

Nur positive Erfahrungen

Alle Fraktionen waren für die Einführung der elektronischen Abstimmung, sie wurde einstimmig angenommen und alle sind heute damit zufrieden. Insbesondere die Fraktionspräsidenten schätzen die jeweils kurz nach der Sitzung veröffentlichten Tabellen, die das Abstimmungsverhalten aller Anwesenden zeigen, weiss Stadtschreiber Christoph Sigrist. Der «Fraktionsdruck», also die Tendenz, nicht von der Parteilinie abzuweichen, habe dennoch nicht zugenommen, sagen die Fraktionspräsidenten der FDP und der Grünen übereinstimmend.

11’500 Franken hat die Anlage in Wil (für 45 Ratsmitglieder) gekostet. «Weil das System so günstig war, haben wir es gar nicht erst getestet, bevor wir es gekauft haben», sagt der Stadtschreiber. «Die erste Sitzung, bei der es zum Einsatz kam, war die Budgetdebatte mit etwa 30 Anträgen, über die abgestimmt werden musste – alles ging problemlos.»

Dem Lappi liegt eine Richtofferte für den Schaffhauser Kantonsrat (60 Sitze) vor, erstellt von der EOTEC AG, die das System an die Stadt Wil und eine ganze Reihe anderer Kunden verkauft hat: knapp 15’300 Franken würde es den Kanton Schaffhausen kosten – etwa gleich viel wie eine Ratssitzung. Das Schaffhauser Kantonsratsbüro wird voraussichtlich Offerten von dieser und anderen Firmen vergleichen, bevor es dem Kantonsrat eine Vorlage präsentiert. Dann wird nochmals verhandelt und abgestimmt. Ein zentraler Punkt ist noch offen: Ein Teil der Kantonsräte will zwar elektronisch abstimmen, aber das Abstimmungsverhalten nicht veröffentlichen. Der Lappi und die weiteren Urheber der Volksmotion bleiben dran und werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für Transparenz kämpfen.

PS: In der Zwischenzeit werden wir weiterhin die Kantonsratssitzungen filmen und das Abstimmungsverhalten aller KantonsrätInnen sowie Zählfehler auswerten. Mehr Informationen: ­www.­hinterzimmerpolitik.ch.