Welche Sorgen haben herkömmliche Landwirtschaftsbetriebe heute und trotz starker Lobby? Bauernverbandspräsident Christoph Graf weiss es.
Christoph Graf, Sie kandidieren für die SVP für den Schaffhauser Kantonsrat. Stimmt es, dass alle LandwirtInnen in der SVP sind?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt auch Bauern, die in der CVP sind und vereinzelt in anderen Parteien. Wir haben das gerade im Schaffhauser Bauernverband gemerkt. Und darum sind wir beispielsweise bei Wahlunterstützungen immer vorsichtig. Wir sagen nicht generell, dass wir die SVP unterstützen, obwohl der grösste Teil sicher SVP-nah ist.
Wieso?
Sicher von früher her. Die SVP war ja früher die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei.
«Heute sind Lebensmittel
Ramschware»
Ist das heute auch noch so? Christoph Blocher zum Beispiel hat nicht so viel mit den Bauern zu tun. Er ist Unternehmer und Milliardär. Wie gross ist der Einfluss der Bauern in der SVP noch?
Er ist sicher noch da. Toni Brunner als aktiver Landwirt war lange Präsident der Partei. Man kann sicher nicht sagen, dass alle SVP-Politiker immer auf der Bauernlinie sind. Aber in unserem Kanton ist es schon so, dass wir Bauern, wenn wir ein Anliegen haben, das wir in Bern einbringen wollen, uns zuerst an Hannes Germann wenden und er ist nun mal in der SVP. Er war immer bauern-nah und wir haben einen guten Kontakt zu ihm.
Man sagt: Die Bauern haben die beste Lobbyorganisation in der Schweiz. Sehen sie das auch so?
Ich habe auch schon von anderen Verbänden gehört, dass wir um unsere Lobby beneidet werden. Wir haben sicher viel Rückhalt, aber den haben wir uns erarbeitet. Ich glaube auch, dass wir nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft viele Sympathien geniessen, gerade bei älteren Menschen, die noch die Zeit erlebt haben, als es Lebensmittel noch nicht in Hülle und Fülle gab. Die wissen noch, woher das Fleisch, das Brot, das Gemüse und die Milch kommen. Und viele haben früher selber auf einem Bauernhof gearbeitet oder hatten einen Vater oder Grossvater, der Bauer war. Als Kind spielten sie selbst noch auf einem Hof. Heute sind Lebensmittel fast schon zu einer Ramschware verkommen. Die Leute wissen gar nicht mehr, was Hunger ist, überspitzt gesagt. So lange die Regale in den Läden immer voll sind und man das ganze Jahr über alles bekommt, vergisst man, was dahinter steckt und woher die Nahrungsmittel kommen.
«Wir hätten gerne
höhere Preise»
Sie sagen, dass die Preise für Lebensmittel heute sehr tief sind. Ohne Unterstützung vom Bund könnten die Bauern nicht mehr von dem leben, was sie produzieren. Darum gibt es Leute, die sagen, die Bauern sind doch nur noch Landschaftsgärtner im Dienst des Staates.
Das ist so, diesen Vorwurf müssen wir uns häufig anhören. Wir hätten auch gerne höhere Preise, von denen wir anständig leben könnten. Dann könnten wir sagen, wir hätten das aus unseren Produkten erwirtschaftet. Aber die Schweizer Strukturen lassen dies nicht zu. Wir haben massiv höhere Produktionskosten, wir müssen Mindestlöhne von 3000 Franken zahlen. In Chile oder wo auch immer auf der Welt werden die Spargeln sicher nicht für 3000 Franken geerntet. Wie sollen wir da mithalten? Jeder kann ausrechnen, dass das nicht aufgeht. Das Gleiche gilt auch für die Milch. Von daher sind wir auf die Direktzahlungen des Bundes angewiesen. Die sind ja auch eingeführt worden, um die Preise für einheimische Lebensmittel zu verbilligen. Sonst wären die noch teurer und unsere Wirtschaft würde ganz zusammenbrechen, weil der Einkaufstourismus noch stärker werden würde. Das wiederum würde dann auch den Detailhandel treffen.
Trotz seiner Macht – der Bauernverband musste bestimmt auch schon Niederlagen einstecken?
Ja. Beispielsweise als die Agrarpolitik 2014–2017 beschlossen wurde. Dabei wurden den Bauern im Berggebiet auf Kosten der Bauern im Flachland mehr Direktzahlungen zugesprochen. Dagegen wehrten wir uns, zumindest ein Stück weit erfolgreich. Aber bei der Streichung der Tierbeiträge hatten wir gar keine Chance.
Von aussen hat man das Gefühl, die Bauern treten stets geschlossen auf. Aber sie erwähnten gerade, dass es auch Verteilkämpfe zwischen Bergbauern und anderen Landwirtinnen gibt.
Klar gibt es auch innerhalb des Bauernverbandes Konflikte. Fast jeder Betrieb hat eine andere Ausrichtung; die einen sind auf Milch spezialisiert, andere auf Poulet oder Legehennen oder nur auf Ackerbau. Jeder hat seine Interessen, aber es ist nicht so, dass wir uns gegeneinander ausspielen.
«Manche haben
aufgegeben»
Früher gab es insgesamt mehr Bauern, von denen jeder eine kleinere Fläche an Land bewirtschaftete. Heute gibt es viel mehr grössere Betriebe, die kleinen sind fast verschwunden (siehe Statistik-Seite). Warum ist das so?
Das ist der natürliche Strukturwandel. Zum Beispiel, wenn kein Hofnachfolger gefunden wurde und das Land an den Nachbarn oder einen anderen Betrieb verpachtet wurde. Dann hat sicher der Eine oder Andere aufgegeben, weil er nicht mehr wollte und konnte. Das Land ging an andere Betriebe. Und es gab den Wandel der Betriebsausrichtungen. Ich kann mich noch erinnern: Als ich die Lehre abgeschlossen hatte, gab es hier in Ramsen über 30 Milchproduzenten. Heute sind wir noch drei im ganzen Dorf. So wandelt sich alles. Und durch den technologischen Fortschritt gab es grössere und leistungsfähigere Landmaschinen. Man hat heute die Möglichkeit, mehr Land zu bewirtschaften.
Stimmt es, dass fast nur noch Söhne oder Töchter von Bauern in die Landwirtschaft gehen?
Das ist schon die Regel. Wer keinen Betrieb von den Eltern oder von sonst jemandem aus der Familie übernehmen kann, der hat es extrem schwer. So einen Betrieb käuflich zu erwerben ist fast nicht möglich. Da muss man viel Land kaufen. In der Familie wird das Land zum Ertragswert weitergegeben. Darum ist es in neun von zehn Fällen der eigene Sohn oder die Tochter, die den Hof weiterführt.