«Die Bürgerlichen sind die Verräter am Vaterland»

Weil ihm der Titel des Magazins gefiel, gab Christoph Blocher dem Lappi ein Interview. Ein Gespräch über Schweizer Werte, Feinde im Innern und über Blochers Lieblingsthema, die EU.

Bilder: mg/Marc Hirt

Christoph Blocher, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das Wort Heimat hören?

Die Heimat ist ernst zu nehmen. Sie ist das Gebiet, das der Mensch kennt, in dem er lange gelebt hat, und wo es ihm wohl ist oder war. In der Regel ist Heimat der Ort, an dem man aufgewachsen ist. Darum hat jeder Mensch eine andere Heimat, aber jeder hat, gleichgültig, wie die Verhältnisse dort sind, eine tiefe Beziehung zur Heimat. Ich sage immer: Der Mensch wird geprägt durch die Heimat.

Wo ist Ihre Heimat? Am Rheinfall oder am Zürichsee?

Die ursprüngliche Heimat ist Laufen am Rheinfall. Dort habe ich die ersten 15 Jahre meines Lebens verbracht, und die prägen sich am meisten ein. Aber jetzt habe ich eine Familie und lebe am Zürichsee, für meine Kinder liegt die Heimat amZürichsee und für mich zusehends auch. Wobei: Die Heimat lernen Sie eigentlich erst kennen, wenn Sie nicht mehr dort sind, in der Erinnerung.

«Die Schweizer
sind weltoffen»

Auch im Alter von 75 Jahren bringen Sie sich aktiv in die Politik ein – sind Sie der Bewahrer der Schweiz?

Nicht der Schweiz, aber der grundlegenden Werte der Schweiz: Ich bin vorne dabei wenn es darum geht, dass diese bewahrt werden. Weil es viele gibt, die sie kaputt machen und sich darüber hinwegsetzen.

Wer?

Die ganze offizielle Politik. Was sind denn die Werte der Schweiz?

Sagen Sie es uns.

Unabhängigkeit. Die Schweizer wollen selbst über ihr Land bestimmen. Wir Schweizer sind weltoffen und haben mit allen Ländern freundschaftliche Beziehungen, aber wir lassen uns nicht dreinreden, wir wollen selbst über unsere Zukunft entscheiden. Ausserdem: Die direkte Demokratie, die Neutralität und der Föderalismus. Diese Werte sind bedroht. Die Politik treibt in die EU, Volksentscheide werden nicht mehr umgesetzt und immer mehr wird in Bern zentralisiert. Ich gelte nur darum als Bewahrer, weil ich mich gegen die Zerstörung dieser Werte einsetze.

Das heisst, sie kämpfen gegen die EU?

Nein, ich will einfach nicht, dass wir beitreten. Wenn die anderen eine Europäische Union gründen wollen, ist mir das egal, aber sie ist eine intellektuelle Fehlkonstruktion. Sie kann nicht funktionieren. Aber wenn die anderen Staaten
etwas machen wollen, das nicht funktioniert, ist das deren Problem – ich will einfach nicht, dass unser Land auch noch mit hineingerissen wird.

CHRISTOPH WOLFRAM BLOCHER ist am 11. Oktober 1940 in Schaffhausen geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Laufen am Rheinfall, wo sein Vater als Dorfpfarrer amtierte, bis er 1959 abgewählt wurde.

Wenn der Feind nicht die EU ist, muss er im Inneren zu finden sein.

Feinde – würde ich nicht sagen. Aber Gegner. Ja, die Schweiz ist eigentlich nur von innen gefährdet. Die Politiker wollen uns in die EU führen. Die Sozialdemokraten greife ich am wenigsten an, die waren schon immer Internationalisten, sie singen ja auch noch die Internationale, diese schrecklichen Strophen, dieses militaristische Zeug. Aber die Bürgerlichen sind gekippt und wollen in die EU oder nehmen es mindestens in Kauf. Leider auch viele meiner Unternehmerkollegen. Das sind die Verräter am Vaterland!

«EU-Politiker
sind gut bezahlt»

Haben diese «Verräter» ein falsches Bild der Schweiz?

Nein, aber sie schauen nur auf ihren kurzfristigen Vorteil. Eine grosse Schweizer Firma, die in der ganzen Welt zuhause ist und vielleicht von einem Amerikaner geführt wird, hat natürlich nicht die gleiche Verwurzelung mit der Schweiz und den Stärken, die unsere Heimat ausmachen. Viele in der Wirtschaft wollen in die EU, weil es dann einfacher wäre, zu exportieren. Die Politiker sind natürlich für den EU-Beitritt, weil sie Ansehen gewinnen könnten. In der EU kannst Du ganz Europa gestalten, von England bis an den Ural und vom Nordpol bis nach Sizilien – da läuft ihnen geradezu das Wasser im Mund zusammen. Und dann sind sie natürlich ganz gut bezahlt, die Europapolitiker, und gleichzeitig haben sie keine Verantwortung. In der EU sind ja alle für alles verantwortlich, aber niemand für etwas.

Im Parlament gibt es praktisch keine Befürworter eines EU-Beitritts mehr.

Ja, offen nicht. Aber sie unterstützen Vorlagen, die uns in die EU führen.

Sie haben unsere Staatsform als Stärke beschrieben – Sie selber sind aber aus dem Nationalrat ausgetreten mit der Begründung, dort könne man nichts erreichen.

Es ist so: In der wichtigsten Frage, die ich noch bearbeiten will, kann man im Nationalrat nichts mehr erreichen. Der Nationalrat hat ein Mandat zu einem Vertrag über institutionelle Bindung an die EU beschlossen. Das heisst, wir müssen automatisch EU-Recht übernehmen und im Streitfall den europäischen Gerichtshof anerkennen. Alle Parteien ausser die SVP haben dem Bundesrat grünes Licht dafür gegeben. Die nächste Stufe ist der Beitritt. Bekämpfen kann man dies nur noch
mit Volksabstimmungen.

Kommen wir auf die Heimat zurück. Ist die Schweiz, wie sie Hodler und Anker zeigen, die richtige Schweiz, wie sie Ihnen vorschwebt?

Nein. Das kann nur jemand sagen, der die Kunstwerke nicht anschaut. Anker hat im Seeland gewohnt, und deshalb zeigen seine Porträts Berner Seeländer. Hätte er in Japan gewohnt, hätte er Japaner gemalt. Hodler hat am Genfersee und im Berner Oberland gelebt, und hat die Berge seiner Umgebung gemalt. Diese Maler sind keine Heimatdarsteller. Die Bilder, die ich hier in Winterthur ausstelle, haben nichts mit Heimat zu tun. Lappi tue d’Augen uf!

Dennoch ist Ihre Schweiz eine Idylle, ein ungestörtes Paradies.

Wenn ich mit anderen Ländern vergleiche, die ich ausgiebig bereist habe, kann man schon sagen: Die Schweiz ist ein einmaliger Fall. Ich finde es etwas Unglaubliches, dass die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort haben und die Politiker diese Entscheide bis vor kurzem auch vollzogen haben.

Heute wohnt Christoph Blocher in einer VILLA HERRLIBERG AM ZÜRICHSEE. Es sei denn, er weilt gerade im Schloss Rhäzüns im Kanton Graubünden. «Bilanz» schätzt das Vermögen der Familie Blocher auf fünf bis sechs Milliarden Franken.

Ist die Schweiz der beste Ort zum Leben?

(überlegt) Ich will keine absolute Aussage machen, aber die Schweiz ist wirklich ein einmaliger Fall. Wir haben keine Bodenschätze, keine Binnenmärkte, kein Meeranschluss, eine unmögliche topographische Lage – warum geht es uns so
viel besser als den anderen? Das ist in der Staatsform begründet. Wir haben nicht die besseren Politiker, aber die Politiker können nicht soviel Blödsinn machen, weil das Volk nach dem Rechten schaut. Es ist lächerlich, wenn der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck mit erhobenem Zeigfinger sagt: «Es ist schon schön, wenn ein Volk mitentscheiden kann. Aber passen Sie auf: Auch das Volk kann irren.»

Kann es?

Selbstverständlich. Aber Gauck hat nicht nach den Politikern gefragt. Deshalb frage ich: Wer hat sich in den letzten 150 Jahren öfter geirrt? Das Schweizer Volk oder die europäischen Politiker? Natürlich kann das Schweizer Volk irren, das kam auch schon einige Male vor – ich habe an der Urne ein paar mal verloren. Aber bei schwerwiegenden Fragen hat es nie geirrt. Warum sind wir nicht in der EU? Es war das Schweizer Volk, das Nein gesagt hat, nicht die Politiker.

Warum irrt das Volk weniger oft als Politiker?

Weil es immer direkt betroffen ist. Wir haben noch einen Staat für die Bürger, nicht Bürger für den Staat. Der Politiker ist immer weit weg von der Sache. Er will Geld einziehen und verteilen. Der Bürger aber will Freiheit und weniger bezahlen. Deshalb muss der Politiker vor dem Volk begründen, warum er Geld von ihm will.

Wie Sie selbst sagen, gelten Sie als Bewahrer von Schweizer Werten. Mit ihren politischen Einstellungen sind Sie eine Identifikationsfigur für viele Schweizerinnen und Schweizer, aber Sie sind nicht repräsentativ: Sie sind ein sehr reicher Mann und Schlossherr.

Es stimmt, ich bin heute ein reicher Mann. Aber ich sage ja auch nicht, ich sei repräsentativ. Ich sage meine Meinung, wie die Schweiz sein sollte. Sie sind ja auch nicht repräsentativ, keiner ist es!

Aber Sie sind relativ weit weg von der Alltagsrealität von Herr und Frau Durchschnittsschweizer, für die Sie zu sprechen glauben.

Haben Sie eine Ahnung. Ich habe wahrscheinlich schon mehr Arbeiter gesehen als Sie. Die Linken kennen die Arbeiter ja nur noch aus der Literatur (lacht). Meine Angestellten sind auf jeden Fall auf meiner Seite. Ich bin vielleicht nicht
repräsentativ, aber ich will den Leuten zeigen, was die Schweiz ist, wie ich sie als internationaler Unternehmer sehe, der sie mit anderen Ländern vergleichen kann. Entscheiden muss dann das Volk. Und 1992, bei der grossen Abstimmung, hat es entschieden. Gegen eine unglaubliche Übermacht hatte es die Kraft zu sagen: Wir bleiben unabhängig.

«Ohne Linke
ists am schönsten»

Dieses Volk stimmt oft so wie sie. Aber für mehr als die Hälfte der Bevölkerung wäre die Schweiz wohl idyllischer, wenn es keine SVP und keinen Christoph Blocher gäbe.

Ja, und die andere Hälfte sorgt dafür, dass die Schweiz noch Schweiz bleibt. In den grossen Fragen gibt es halt Diskussionen. Wir sind eigentlich nur Anwälte. Wir nehmen Partei für etwas, der andere nimmt Partei für das Gegenteil. Und dann haben wir einen Richter, das ist das Schweizervolk. Wenn es entschieden hat, muss man auch nicht mehr reklamieren und sagen, es wäre viel schöner, wenn es die SVP nicht gäbe. Am schönsten wäre es, wenn es keine Linken gäbe in diesem Land, das wäre natürlich wunderbar (lacht).

Dann wären wir im Paradies?

Nicht gerade im Paradies, denn dann würden die Bürgerlichen auch wieder Seich machen. Der Mensch macht immer wieder «Chabis».

Würden Sie auswandern, wenn die Schweiz der EU beitreten und gleich noch die Armee abschaffen würde?

Wahrscheinlich nicht. Dann muss ich halt leiden in diesem Land. Und hoffen, es komme keine andere Armee. Aber da halte ich es mit Albert Anker: «Siehe, die Welt ist nicht verdammt.»