Big Brother Awards unnütz?

Mit den Big Brother Awards werden weltweit Institutionen ausgezeichnet, die den Datenschutz mit Füssen treten – nicht so in der Schweiz, wo die Verleihung 2009 eingestellt wurde.

Die Big Brother Awards, die in der Schweiz erstmals 2000 verliehen wurden, wurden von der Swiss Internet User Group (SIUG) und dem Verein Grundrechte.ch organisiert. Heute fehlen den Organisatoren die Ressourcen, um den aufwendig aufgezogenen Anlass weiter durchzuführen, meint Christoph Müller von den Big Brother Awards Schweiz.

«Ein weiterer Grund ist, dass es uns nicht genügend gut gelungen ist, unsere Anliegen über den Kreis derjenigen, die sowieso schon ein Bewusstsein für das Problem haben, auszudehnen.» Gedanken müsse man sich auch über inhaltliche Aspekte machen, vor allem im Zusammenhang mit dem Internet: «Immer mehr Kandidaten für einen Big Brother Award sind international agierende Firmen wie Google, Apple oder Facebook, die mit nationalen Awards nicht richtig gefasst werden können.» Zudem mangelt es in der Kategorie Arbeitsplatz an gut dokumentierten Nominierungen.

«Die Mauer des Schweigens und die Angst vor Sanktionen sind hier offensichtlich noch immer sehr gross.» Es sind aber auch positive Entwicklungen zu beobachten. Bei den bisherigen Siegern und potenziellen Kandidaten aus Wirtschaft und Staat, so sagt Christoph Müller, sei eine gewisse Sensibilisierung festzustellen. Das Bewusstsein für Privatsphäre sei gestiegen. «Ein Problem ist allerdings die Verrechtlichung», sagt er, und kritisiert die Ansicht, dass ein Eingriff in die Privatsphäre unproblematisch sei, wenn eine gesetzliche Grundlage bestehe.

In Deutschland fanden die Awards bereits zum elften Mal statt. Organisiert wird der Anlass vom «Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs» (FoeBuD). Es wurden Preise in den Kategorien Behörden und Verwaltung, Politik, Kommunikation, Arbeitswelt, Verbraucherschutz und Technik vergeben. Einige Fälle stachen besonders heraus:

Die Modemarke Peuterey, die in der Kategorie Technik gekürt wurde, näht in ihre Kleider RFID-Chips ein. Die ermöglichen es, mittels elektromagnetischen Wellen Informationen an Lesegeräte zu senden. Natürlich sind diese nicht als solche gekennzeichnet – «Don’t remove this label» ist auf dem eingenähten Etikett zu lesen. So wird der jeweilige Aufenthaltsort einer Person mit Hilfe dieses Chips an sta­tionäre Lesegeräte übermittelt, auch wenn das nicht der ursprüngliche Zweck ist. Eigentlich dienen die Chips in den Kleidern der Erleichterung der Inventur. Das Missbrauchspotential ist aber gross. Es gibt Dokumentierte Fälle, in denen MitarbeiterInnen heimlich RFID-Chips in die Arbeitskleidung integriert wurden. Ein Mitarbeiter eines Supermarkts in Deutschland soll eines Tages einen Brief von der Geschäftsleitung erhalten haben. Darin habe er nachlesen können, dass er vergangene Woche pro Tag durchschnittlich 72 Minuten auf der Toilette verbracht habe. Dies liege 27 Minuten über dem Soll und künftig werde man das vom Gehalt abziehen. Als er seinen Arbeitskittel durchsuchte, fand er einen RFID-Chip.

Ein weiterer Preis – in der Kategorie Arbeitswelt – ging dieses Jahr an die Daimler AG in Deutschland. Diese verlangt bei Bewerbungen eine Blutprobe der KandidatInnen. Die BewerberInnen können «freiwillig» unterzeichnen, dass sie mit der Blutentnahme einverstanden sind. Wer nicht einwilligt, bekommt den Job nicht. Dies, obwohl das Verfahren tief in das verfassungsmässige Persönlichkeitsrecht eingreift. Ähnliche Fälle gab es in der Schweiz: Bereits 2007 wurde bei den Schweizer Awards die SBB wegen präventiven, flächendeckenden Drogentests ausgezeichnet.

Die prominentesten Gewinner wurden beide in der Kategorie Kommunikation gekürt: Facebook und Apple, die beide einen höchst fragwürdigen Umgang mit den Daten ihrer Kundschaft pflegen. Apple, so heisst es in der Laudatio, erpresse seine KundInnen, nehme diese sogar als Geiseln. Wer sich ein neues iPhone kauft, wird gezwungen, den zweifelhaften Datenschutzbestimmungen zuzustimmen. Wer nicht zustimmt, kann die meisten Zusatzfunktionen nicht nutzen. So werden insbesondere Lokalisierungsdaten für Werbezwecke genutzt. Die Internetplattform Facebook spioniert seine KundInnen schamlos aus, während es diesen mit einer Datenschutzerläuterung von rund 50’000 Zeichen verunmöglicht wird, sich hinreichend über ihre Rechte zu informieren.

Die Datenschutzvoreinstellungen werden meist ohne Vorankündigung geändert und die gesamten Daten der UserInnen werden auf unbestimmte Zeit gespeichert. Mit immer ausgefeilteren neuen Funktionen kann auch das Verhalten ausserhalb von Facebook ausspioniert werden. Der «Like»-Button, der auch auf Seiten wie «Tagesanzeiger.ch» implementiert wurde, zeigt Facebook auch ausserhalb der eigenen Seite das Verhalten der NutzerInnen. Dazu muss man diesen nicht einmal anklicken. Wer sich als Facebook-Nutzer eine Seite mit integriertem «Like»-Button anschaut, bekommt automatisch ein Cookie, anhand dessen Facebook sämtliche Bewegungen im Internet auf Seiten mit einem solchen Button nachvollziehen kann.

Die Organisatoren wollen mit den Big Brother Awards die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Missstände in unserer Gesellschaft richten. Dabei geht es nicht unbedingt darum, rechtliche Verstösse zu ahnden, sondern negative Trends aufzuzeigen und ins Gespräch zu bringen. Auch der Durchschnittsbürger soll ein Bewusstsein für Datenschutz entwickeln. Damit leisten die Organisatoren einen wichtigen Beitrag für die Gemeinschaft, während es die Politik bisher versäumt, das Thema Datenschutz angemessen zu behandeln. Die Big Brother Awards Schweiz sind noch nicht beerdigt. Man wolle das Projekt in Zukunft mit einem angepassten Konzept und einer engeren Zusammenarbeit unter den Organisatoren fortführen. Nominierungen werden weiterhin entgegengenommen, per Post, per Mail oder auf dem Onlineformular.