Die dunkelrote Seite der Macht

10 Jahre politischer Saubannerzug: Der Versuch einer Erklärung für den Erfolg der Alternativen Liste.

AL-POLITIKER AM 1. MAI: Grossstadtrat Andi Kunz, Stadtrat Simon Stocker und Grossstadtrat Leonardo Pivetta (v.r.)

Kurz nach ihrer Gründung hat die Alternative Liste (AL) Schaffhausen zehn Forderungen aufgestellt. Bis zum heutigen Tag wurde nicht eine davon erfüllt. Auch sucht man bei der AL zehn Jahre nach ihrer Gründung vergeblich nach richtigen Parteistrukturen. Diese «Partei» ist noch genauso unfassbar wie am ersten Tag.

Die AL macht mal da, mal dort ein bisschen etwas, mal Umweltpolitik, mal Sozialpolitik, mal Sicherheitspolitik. Parteiziele wie die Verhinderung des Galgenbuck-Tunnels sind von der Realität überholt worden. Andere, die Schaffung von Bandräumen etwa, sind immer noch reines Wunschdenken. Stattdessen wärmen die Alternativen kalten Kaffee auf und servieren ihn heiss. Bei der Raumplanung, der Steuerpolitik, bei der Ausländerpolitik oder der Bildung.

Revolution und Umsturz? Weit gefehlt. Die eigenen Vorstellungen von Politik, die viele vor zehn Jahren in den Falken-Saal getrieben haben, sind längst revidiert. Über die Abschaffung der Armee, die Trennung von Kirche und Staat oder die Legalisierung von Cannabis wird in der Partei kein Wort mehr verloren.

Darüber hinaus sind der AL nur wenige Gründungsmitglieder treu geblieben. Man könnte beinahe sagen, die paar wenigen, die noch dabei sind, sind die Partei. Die anderen Mitglieder sind Partei­söldner, die kommen und gehen. Die AL ist so seit zehn Jahren in stetigem Überlebenskampf.

In weiteren zehn Jahren wird sich die AL – sollte sie dann noch immer existieren – ganz brav in die Parteilandschaft eingegliedert haben. Das könnte man meinen, das hat man immer wieder gemeint – wären da nicht ihre Erfolge.

Die Alternative Liste lanciert Initiative um Initiative, gewinnt Abstimmung um Abstimmung. Sie hat nicht nur treue WählerInnen, sondern auch jedes Jahr mehr. Sie ist heute viertstärkste Partei in der Stadt und im Kanton – mit Fraktionsstärke in beiden Parlamenten, einem Gemeinderat, einem Stadtrat und einem Stadtschulrat. Dafür brauchte es kein fünfköpfiges Co-Präsidium, es ging ohne saalfüllende Parteiversammlungen, bei denen doch immer dieselben fünf sprechen, und ohne nationalen Überbau. Ein Stammtisch reichte.

Flexibel und heterogen

Die AL macht keine Politik nach Parteiprogramm. Wer an den Sitzungen teilnimmt, gestaltet die ganze Partei mit. Wenn dort ein Thema zur Sprache kommt und die Mitglieder Handlungsbedarf sehen, dann wird telefoniert und gemailt, bis sich genug Leute für eine Interessengemeinschaft finden – seien das Parteimitglieder, Sympathisanten, Verwandte, Nachbarn oder x-beliebige Passanten. Ist die politische Auseinandersetzung vorbei, löst sich die Gemeinschaft wieder auf, und einige bleiben immer auch bei der Partei hängen. So ist die AL heute mindestens so heterogen wie vor zehn Jahren, aber viel flexibler.

Im Kantonsrat stieg die Anzahl Sitze von 1 auf 3 auf 5, im Grossstadtrat von 2 auf 3 auf 4. Geht es so weiter, hat die AL in 52 Jahren die Mehrheit im Kantonsparlament und in 60 Jahren auch die Mehrheit in der Stadt. Ein Glückwunsch für diese Perspektiven aus der Lappi-Redaktion.