Endlich tanzen, die ganze Nacht

Wie war das, als Techno in Schaffhausen ankam? MdMa, Marc Maurice und Silvy und erzählen von einer Zeit, in der es im Städtli keinen Club aber eine Polizeistunde und Tanzverbote gab. Eine O-Ton-Geschichtsstunde in sechs Kapiteln.

Intro

MdMa Ich habe mit zwölf begonnen, eigene Musik zu hören. Das war in den frühen Siebzigern. Ich habe vor allem Radio gehört und irgendwann die Hitparade beim «Deutschlandfunk» entdeckt. Da bin ich auf die 70er-Popmusik gekommen.

Marc Maurice Ich bin mit Italo-Schlager aufgewachsen. Meine Mutter ist Italienerin und hat immer San-Remo-Musik gehört. Das waren Platten und Kassetten vom «San Remo Festival», die sie während dem Putzen hat laufen lassen.

Silvy Ich habe mit R’n’B und HipHop angefangen, mit schwarzer Musik. Whitney Houston und Sade, das hat mich berührt. Ice-T, LL Cool J, MC Lyte, Musik die mit Street und Breakdance zu tun hatte. Ich war damals fünfzehn und habe zusammen mit meinem Bruder getanzt. Ich ging damals in die Waldorf-Schule in Überlingen am See und meine Klassenkameraden haben damit angefangen. Von der Eurythmie zum Breakdance: Als erstes haben sie die Buchstaben ihrer Namen gebreakt


MdMa Mit zwanzig bin ich in die Punk-Musik hineingestolpert und habe dann Punk-, Hardcore- oder Grunge-Zeug gehört. Ich bin damals von Diessenhofen nach Schaffhausen gezogen und habe dort Punks kennen gelernt, die mir die Musik gezeigt haben. Birthday Party, Dead Kennedys, aber auch Einstürzende Neubauten.

Marc Maurice Anfangs der Achtziger war ich zehn, elf, da hatte ich noch keinen Zugang zu älteren Leuten. Da lief im Radio NDW, das hat mir gefallen mit den Melodien. Dann kam ’82, ’83 die Italo-Disco, das war das Nonplusultra! Ich ging dann in die Disco, ins OK, ins Koni, in die Chiesgrueb.

MdMa Die frühen Achtziger waren recht tot. Es gab nicht viel ausser dem Domino, aber das ging mir schon damals mit diesem immer gleichen Funk auf die Nerven. Ich bin dann an Konzerte, auch nach Zürich ins AJZ oder die Rote Fabrik. In der ersten Hälfte der Achtziger ging es dann im Kammgarn los, mit den Übungsräumen im UG und 1985 erstmals mit dem «Herbströchheln», wo ich mitgemacht habe. Dort gab es zum ersten Mal so etwas wie ein Kulturprogramm im Kammgarn.

Infektion

Marc Maurice 1987 gingen wir nach Italien in die Ferien. Dort lief in einem Spielsalon von Frankie Nuckles «Your love» rauf und runter. Das war etwas völlig Neues und hat mich infiziert. Als ich wieder zurück in die Schweiz kam, lief überall der gleiche US-Charts-Seich. Erst im 88i kamen dann die ersten Acid-Platten in die Schweiz. Mein damaliger bester Freund war ein Freak, der immer die neusten Platten kaufte. So kam ich zum Techno.

Silvy Mit Techno bin ich das allererste Mal in Paris in Berührung gekommen. Das war 1989 in einem Club an der Champs-Élysées, der hiess Queen. Da bin ich mit Kollegen aus Japan gelandet. Die haben richtig Techno gemacht, harten Techno. Die Leute waren komplett anders drauf als an einem Rock- oder Reggae-Konzert. Alles war sehr sphärisch, viel Licht, alle haben getanzt. So etwas hatte ich bis dahin noch nie erlebt.

Marc Maurice Neben den House-Tracks wie «Your love» war der Acid mit dem schweren Bass, scharfen High-Hats und Snares das Ding. 120 bpm, kein Gesang, nichts. Die Leute fanden, das sei Psycho-Musik, aber du musstest die Musik halt fühlen: Es trieb mich zum Tanzen. 1988 organisierte ein früherer DJ im oberen, alten Kammgarn die erste Acid-Party. Nur Stroboskop und Nebel, paar Spots. Ohne Farben, alles weiss. Es hatte an diesem Abend etwa sechs Leute, mit dem Personal. Der harte Kern ging zwei Stunden zu 4/4-Takt-Musik ab!

Silvy Als ich von Paris nach Deutschland zurück kam, habe ich in Ramsen im Kinderheim Wiesholz ein Praktikum gemacht. Durch die Eltern habe ich Leute kennen gelernt, die im Fass verkehrt haben. Ich habe danach im Fass gearbeitet und zusammen mit Jacky und anderen in der Fass-WG im Cardinal gelebt. Jacky war damals das Goa-Hippie-Girl in der Stadt. Sie liess bei uns zuhause oft Goa laufen. Wir hatten in der WG die Türen aneinander, ich musste mich also mit der Musik auseinandersetzen. Jacky hat mir dann eine Kassette aufgenommen, die ich an ein Konzert nach Berlin mitgenommen habe. Unterwegs habe ich die immer wieder gehört. Ich habe mir gesagt: Entweder knacke ich die Nuss, oder ich muss aus dieser WG ausziehen. Das war meine Techno-Therapie!

Marc Maurice Es gab Ende der Achtziger die Sendung «Let‘s dance», die immer am Samstagabend von 10 bis 12 lief. Dort lief auch Techno. Und «DRS3» schaltete damals noch auf «Couleur 3» ab Mitternacht, weil sie noch kein eigenes Nachtprogramm hatten. «Couleur 3» hatte damals eine Sendung mit Djaimin, Mr. Mike und Just One. Sie gingen mit dem Radio direkt in den Club und haben live übertragen oder es liefen Mixes von Djaimin, die wir auf unseren nächtlichen Fahrten mit dem Auto gehört haben. Da lief nur House, die neusten Tracks.

Züri, Züri

MdMa Techno kam bei mir erst ’90, ’91. Eine Freundin ging damals nach London und rutschte eher zufällig in die Acid-Party-Szene rein. London war damals schon weit voraus mit Rave. Sie kam zurück und schwärmte von Partys, die die ganze Nacht dauern, und von Extasy, von dem du nie müde wirst. Partys, auf denen die ganze Nacht getanzt wird? Darauf hatte ich mein Leben lang gewartet! Wir entdeckten, dass es das in Zürich ja auch gibt, damals vor allem in Schwulen-Clubs wie dem T&M oder dem Labyrinth.

Marc Maurice Als in den Neunzigern die grossen Techno-Partys in Zürich losgegangen sind, fragten mich die Leute immer: Wo kann man da hingehen? Ich war eine Art Info-Point damals. Ich war ja in Zürich und nahm die Flyer mit. Damals gab’s noch kein Internet und im Radio sind diese Partys auch nicht präsentiert worden.

Der Smiley, 1963 vom US-amerikanischen Werbegrafiker Harvey Ball entworfen, darf als VATER DER EMOJIS bezeichnet werden. Popularisiert wurde das gelbe Glücksgesicht, als es sich die Acid-House-Bewegung zum Erkennungszeichen machte.

Silvy In unserer WG-Küche gab’s immer Treffen der Schaffhauser Goaner mit Kurt Bösch alias KB, Dani, Angelika, Jacky. Diese Treffen waren immer am Freitagabend und nachher sind wir an Partys nach Zürich gefahren. Oft haben wir im Fass gearbeitet, und als wir fertig geputzt hatten, sind wir los. In Schaffhausen lief damals nur sporadisch etwas, Zürich war jedes Wochenende Party. Damals hat es auch angefangen mit den Drogen, es wurde viel experimentiert.

MdMA «ET» war der Hit: ein Extasy plus ein halber Trip.

Marc Maurice Ich bin damals mit DJ Agroovin oft in den Kaufleuten-Saal gefahren, zu «Kamasutra»-Partys, ein Label damals mit den angesagtesten Techno- und House-Heads. Das war ungeheuer geil! Du bist an diese Partys und du wusstest, die Leute gehen nicht dort hin, weil es halbnackte Frauen hat, sondern wegen der Musik. Auch in der alten Börse oder dem OXA, dort waren 1000, 1500 Leute, nur weil sie diese Musik hören wollten. Was wir damals rumgekurvt sind, nach Basel, Strassburg, in die Innerschweiz, jedes Wochenende nach Zürich …

Blos e chlini Street Parade

Silvy Meine erste Techno-Party in Schaffhausen war im Fass-Keller. Das war 25 Jahre «Stone Wall». KB 93 hat aufgelegt, Goa und House. Ich war der Spalter, ging nicht nur an Goa-Partys, sondern auch an House-Partys. Ich fand beides super, habe nie die Trennung gemacht. Indoor ist House, besser zum Tanzen, outdoor ist Goa. Das sind zwei verschiedene Welten. Schon damals dauerten die Goa-Partys drei Tage, ewig, viel Deko und Trallalla. Beim House gings um Beats, gute Musik und ums Tanzen.

MdMa In Schaffhausen gab’s damals «Good Vibes», paar Leute, die wunderschöne Partys gemacht haben, viel Wert auf Deko haben die gelegt. Im Logi oder auch im Griessbach.

Marc Maurice Wir haben dann «Fantasy Mad Culture» gegründet, eine Gruppe um die zehn Leute, die im oberen Teil im Keller der Kammgarn Partys organisierte. Unsere erste Party hatten wir aber im Fass-Keller, am 22. Mai 1992. Leider durftest du damals nur bis halb drei machen in Schaffhausen, dann war finito. Wir haben dann einmal zugemacht, die Leute in den Rosengarten geschickt oder zum Rheinfall und machten dann um fünf eine After Hour. Die erste war in der Kammgarn oben, mit Viola und Hardsequencer.

MdMa Beim RaSA haben wir auch Techno-Partys veranstaltet. Der Sender war nach dem Testbetrieb lange auch Veranstalter, bis dann die Konzession kam 1998. Mit dem RaSA haben wir im Logi oder im Mühlental Raves veranstaltet. Auch bei einem der ersten Rasafari-Open-Airs haben wir Techno laufen lassen, nachdem Punk-Bands gespielt hatten. Die alten Punks fanden: «Verräter, Techno nimmt uns die Arbeit weg!»

Silvy Im Logi und in den Übungsräumen im alten Kammgarn-Keller waren auch Partys. Und halt in unserer WG. Da kamen viele Traveller, DJs aus Indien, es lief immer laute Musik, die Türen standen immer offen. Das war vor allem wegen Jacky, die ging auch international an Partys, kannte überall Leute.

MdMa In Schaffhausen gab’s mal eine Zeit lang eine eigene Street Parade, organisiert von Christian und Rolf. Die haben Schaffhausen recht aufgemischt, auch mit Gabi Zopf. Die kleine Street Parade war recht läss. Die erste bestand nur aus einem Traktor mit Sound-Anhänger: 50 Nasen tanzten durch die Stadt.

No Jukebox

Marc Maurice Das DJing kam erst mit der Zeit bei mir. Ein Bekannter von mir hatte Connections zu paar Punks, dadurch kamen wir an einen Übungsraum im Kammgarn-Keller. Dort unten habe ich experimentiert. ’96 mussten wir raus, weil die Kammgarn umgebaut wurde. Wir hatten dann die Möglichkeit, als Übergangszeit, ins Logierhaus zu gehen. Wir kannten die Leute, weil wir dort früher unsere Weihnachts- und Oster-Partys gemacht hatten. An Weihnachten und Ostern war damals noch tote Hose in Schaffhausen, es war wirklich alles zu. Im Logi fanden wir für ein Jahr Unterschlupf, bis wir dann im Weinmann-Areal die Übungsräume des «Vereins zur Förderung der Kellermusik» gebaut haben.

MdMa Ich habe beim RaSA eine Nachtsendung gemacht, immer von Freitag auf Samstag. Die lief von 23 Uhr bis irgendwann. Ich war Betreuerin, habe also nicht selber aufgelegt. Es kamen immer Gast-DJs, Marc Maurice war da und Suhner oder auch Andi und Harry von «Escape», die Goa auflegten. Etwas später begann ich selber aufzulegen. Als MdMa, ManudieMaus. Eine Zeit lang war ich Resident im Domino, als Sandor noch den Laden geschmissen hat.

Marc Maurice Früher waren DJs noch eine Jukebox, wo jeder kam und Sachen wünschte. Im House- oder Techno-Bereich war das anders: Da kam der DJ und hat sein Ding gemacht. Er hat ja selber gemerkt, ob’s scheisse war, wenn der Saal leer war. Es gibt das Kafi Oberstadt, dort haben wir am Samstagabend die Anlage reingestellt und Party gemacht, bis der Laden dicht machen musste. Nebenan ist ja das Orient. Metin Demiral hat es 1996 aufgemacht. Das gab’s vorher noch nicht in der Stadt, einen Club wie das Orient. Dort ging es dann weiter, ich habe mit DJ Ata immer am Freitagabend Resident gemacht. Die Leute hat es gefreut, wenn wir zwei mit den Koffern reingelaufen sind. Sie wussten, es läuft keine Hitparade.

Silvy Ich habe ’95 in Zürich gelebt, dort Platten gekauft, im Pantera, im Catchy Tunes, das war mein Laden. Im TapTab-Plattenladen habe ich auch Platten gekauft, dort gab’s damals aber nur wenige elektronische Sachen. Ich habe dann bei «Happy People» und «Mondmilch» Chill-Out und Ambient gemacht. Immer Intros und Outros, immer im Downbeat-Bereich, ich habe nie den Dancefloor klar gemacht.

Marc Maurice Ich fuhr nach Winterthur in den DJ Service, um Platten zu kaufen. Der gehörte Jamie Lewis, einer grossen Nummer. Oder nach Zürich in den Panthera Records.

Silvy Ich war zwei Jahre komplett weg aus Schaffhausen, von ’95 bis ’97. Aus Schaffhausen habe ich manchmal Leute getroffen an den grossen Partys. Mein Leben war damals Party, sieben Tage die Woche. Als ich ’97 wieder nach Schaffhausen zurückgekommen bin, gab’s viele Kopien, Party-Lines, im Logi oder im Transit im Mühlental, oder im TapTab. Dort habe ich dann viel aufgelegt, an der «Bar2000» oder beim RaSA. Das ging vom Abend bis morgens um sechs manchmal. Meine Sendung hiess «Chaos in Paradise».

Outro

Marc Maurice Ich hatte Anfang 2000 einen Hörsturz und habe darum Pause gemacht. Wieder losgegangen ist es bei mir, nachdem ich mit meiner Mutter im 05i nach Italien in die Ferien gefahren bin. Dort gabs in einem Nachbarkäffli einen Plattenladen, wo ich für etwa 500 Euro Platten eingekauft habe. In Schaffhausen ist dann dieser Coiffeur-Laden am Bahnhof aufgegangen, der Hairplanet. Die hatten dort am Anfang immer Live-DJs. Dort konnte ich meinen Ego-Sound machen, habe das Feeling für die Schallplatten wieder gefunden. Der Kick kam dann an einer Hochzeitsparty im Chäller: Ich wusste, an diesem Event gibts nur anspruchsvolle Leute und ich habe dann alles richtig gemacht. 06 hat mich Buko ins TapTab geholt. Vom ersten Event weg rannten uns die Leute die Hütte ein.

MdMa Ich habe einige Jahre später wieder eine Nachtsendung auf RaSA gemacht, von 2007 bis 2011, zusammen mit DJoystick. «Audiodope» hiess die Sendung. Heute mache ich keine Musik mehr, höre aber noch sehr gerne Ambient und Chill Out Sachen.

Silvy Ich gehe heute noch am liebsten in Zürich in den «Supermarket» zum Tanzen. Das inspiriert mich auch für meine kleinen DJ-Sets im Freundeskreis.