Neue Pol-Positionen

Christliche FundamentalistInnen sind auf dem Vormarsch. Immerhin: Ihr Einfluss auf die Politik ist marginal – auch in Schaffhausen.

Die Schweizer Bevölkerung wird immer ungläubiger. Noch 1970 waren über 95 Prozent entweder katholisch oder reformiert. Ende 2013 machten die beiden Glaubensgruppen zwar immer noch über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung aus, aber vor allem die Zahl der Reformierten ist massiv eingebrochen. Die KatholikInnen lösten sie Ende der 70er-Jahre als grösste religiöse Gemeinschaft in der Schweiz ab.

Anders ist die Situation im Kanton Schaffhausen. Hier sind die Evangelisch-Reformierten noch stärker. So lebten Ende 2010 im Kanton 28’499 (37,3 %) Reformierte. Nur 14’952 (19,6 %) bezeichneten sich als katholisch. Das sind nur 1’700 Personen mehr als die Gruppe der Konfessionslosen ausmacht (13’259/17,4 %). Die FreikirchlerInnen stellen eine dermassen kleine Gruppe, dass weder schweizweit noch im Kanton Schaffhausen Zahlen verfügbar sind. Zumindest offiziell.

17 Prozent Ungläubige

Längst nicht jeder, der auf dem Papier reformiert oder katholisch ist, «lebt» seinen Glauben. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung betrachtet Religion im Allgemeinen «distanziert». Das behaupten eine Reihe von Religionssoziologen, unter anderem Jörg Stolz, Professor für Religionssoziologie an der Universität Lausanne. Sie haben die Religiosität und Spiritualität der Schweizer Bevölkerung vermessen und Ende des letzten Jahres die bisher umfangreichste Studie zu diesem Thema präsentiert. Basierend auf einer repräsentativen Umfrage unter 1’229 Personen, teilten sie die Schweizer Bevölkerung in vier Kategorien ein.

Die mit Abstand grösste Gruppe ist jene der «Distanzierten» (57 %). Und sie wird weiter wachsen, meinen die Experten. Ebenso sagen die Forscher den Säkularen (12 %) langfristig ein deutliches Wachstum voraus. Die Säkularen haben eine besonders kritische Sicht auf die Religion. Sie glauben, dass Gott eine reine Illusion ist. Aber nicht nur diese beiden Gruppen werden zunehmen. Auch die Zahl der FreikirchlerInnen wächst. Schweizweit gehören heute rund 250’000 Personen einer Freikirche an. 1970 waren es erst 37’000, heisst es in der Studie. Die FreikirchlerInnen gehören zur Gruppe der «Traditionellen», die knapp einen Fünftel der Schweizer Bevölkerung (18 %) ausmacht.

Professor Jörg Stolz führt das Wachstum der FreikirchlerInnen auf eine Individualisierung der Religion zurück. «Die Menschen wurden immer individueller und wollten zunehmend selbst entscheiden, was ihre ganz eigenen Bedürfnisse sind», erklärt Stolz auf der Online-Plattform des Fachjournalisten Sandro Bucher. Dadurch entstehe ein Interessenkonflikt mit der institutionellen Religion, die klare Vorgaben und Richtlinien habe, so Stolz. Es sei darum wahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahrzehnten zu einer neuartigen Polarisierung kommen wird. Die Bedeutung der traditionellen Landeskirchen wird weiter sinken und Konfessionslosigkeit und Gottesungläubigkeit werden im Laufe der Zeit immer weniger Gemüter erhitzen. Dafür werden stärkere Freikirchen zu einem neuen Gegenpol, der sich aktiv gegen die säkularen Neigungen der modernen Gesellschaft stellen wird.

Die Polarisierung nimmt zu

Die letzte Volksinitiative christlich-fundamentalistischer Kreise scheiterte im Februar 2014, als das Schweizer Stimmvolk die Abtreibungsinitiative relativ klar abschmetterte. Die InitiantInnen wollten Abtreibungen aus dem Leistungskatalog der Grundversicherung streichen. Knapp 70 Prozent stimmten dagegen. Das Stimmvolk des Kantons Schaffhausen sagte mit 65 Prozent «Nein». Einzig die Bevölkerung des Kantons Appenzell Innerrhoden sprach sich für die Initiative aus.

Die CVP auf absteigendem Ast

Der Einfluss christlicher Kreise auf die Politik ist in Schaffhausen generell klein. Im aktuellen Kantonsrat besetzen die christlichen Parteien CVP, EVP und EDU nur sechs von 60 Sitzen. Vor allem die CVP verlor in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung. Dagegen ist die EDU seit 2008 erstmals im Kantonsrat vertreten. Die Entwicklung der beiden Parteien widerspiegelt in gewisser Weise die Entwicklung innerhalb der Bevölkerung.

Die Schweizer CVP wusste schon gar nicht mehr, für was das «C» überhaupt steht. Um diese Frage zu klären, wurde sogar eigens eine Taskforce geschaffen, die im Positionspapier «Das ‹C› im Namen der CVP» Antworten formulierte. Und diese erteilt dem Christentum eine klare Abfuhr: «Der christliche Glaube beinhaltet in erster Linie eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und eine Hoffnung aus dem Auferstehungsglauben. So ist auch die Bibel nicht ein Ethik-Handbuch und schon gar kein Polit-Handbuch. (…) Wir leiten aus der Bibel aber keine direkten Handlungsanweisungen für die Alltagspolitik ab».

EVP & EDU: Politik im Auftrag Gottes

Hingegen bekennt sich die Schaffhauser EDU offen zum Christentum. «Unser politisches Engagement basiert auf dem Glauben an den dreieinigen Gott. Seine biblischen Anweisungen sind die wertvollsten, konstruktivsten und nachhaltigsten
Grundlagen für alle Lebensbereiche», so lautet einer der Grundsätze der Schaffhauser EDU. Und auch die EVP setzt voll und ganz darauf, dass Gottes Wort auch in der Politik Gehör findet. Die Partei hat das «Ziel, auf der Grundlage des Evangeliums eine sachbezogene und am Menschen orientierte Politik zu betreiben», und ist überzeugt, «dass sich christlicher Glaube auch in konkretem politischem Engagement ausdrücken muss.»

Das klingt nicht danach, als sollten Kirche und Staat voneinander getrennt operieren. Und genau diese Parteien sind in jüngster Vergangenheit stärker geworden. Wenn auch auf tiefem Niveau, zeigt sich bereits hier die von Professor Stolz angesprochene Polarisierung.