Der gläserne Politiker

Wir bekämpfen Hinterzimmerpolitik und Geheimniskrämerei im Schaffhauser Kantonsrat mit einer Volksmotion

ESH4-Debatte im Kantonsrat am 11. Januar 2016: Drei Kantonsräte enthalten sich bei 5 von 22 Abstimmungen der Stimme. Sind es wankelmütige Mittepolitiker oder zweifelnde Freisinnige, die bei fünf Sparmassnahmen weder Ja noch nein sagen? Nein, es sind drei Linke: die SP-Kantonsräte Matthias Freivogel und Peter Neukomm sowie Urs Capaul (ÖBS).

Wir wissen das, weil wir die Abstimmungen im Schaffhauser Kantonsrat gefilmt und ausgewertet haben. Ausser uns weiss das keiner. Und das ist ein Fehler.

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons Schaffhausen sollen wissen, dass Regula Widmer (GLP) keine einzige der Massnahmen des Sparpakets ESH4 ablehnte. Und dass Urs Hunziker (FDP) als einziger seiner Partei Gebühren für Freifächer an der Kanti ablehnte. Oder dass Marcel Montanari und Florian Hotz (beide Jungfreisinn) sowie Walter Hotz und Mariano Fioretti (beide SVP) als einzige die Reduktion des Pendlerabzugs auf maximal 6’000 Franken abgelehnt haben.

Selbst wenn Otto Durchschnittswähler sich an diesem Montagmorgen frei genommen und die Debatte im Kantonsrat auf der öffentlich zugänglichen Tribüne verfolgt hätte – er hätte sich das Abstimmungsverhalten einzelner Parlamentarier nicht merken können. Filmen oder Fotografieren darf er nicht. Das ist nur Medienschaffenden erlaubt. Dabei ist es in einer Demokratie wichtig, dass die Stimmberechtigten wissen, für welche Interessen sich ihre Vertreter einsetzen – und welche sie links liegen lassen. Das Volk muss wissen, wenn jemand im Wahlkampf sagt, er werde sich im Parlament für ein gutes Bildungsangebot einsetzen, danach aber genau das Gegenteil tut.

Elektronische Abstimmungen würden diese Transparenz herstellen. Aus diesem Grund lancieren wir – die Schreibenden sowie Thomas Leuzinger und Claudio Kuster – eine Volksmotion, die genau das fordert: Die Geschäftsordnung des Kantonsrats «sei so zu ändern, dass 1. alle Stimmabgaben der Mitglieder des Kantonsrats elektronisch erfolgen; 2. alle Stimmabgaben namentlich ins Protokoll aufgenommen werden; und 3. diese unmittelbar nach Sitzungsende auf der Webseite des Kantons veröffentlicht werden». Damit nicht nur wir, sondern alle wissen können, wer wie abstimmt. Wir sind überzeugt: Wer das nicht will, hat im Kantonsrat nichts verloren.

Dreimal falsch gezählt – an einer Sitzung

Kommt hinzu, dass ein elektronisches Abstimmungsverfahren Zählfehler verhindern würde. Denn die gibt es. Stimmenzähler sind Menschen, und Menschen machen Fehler. Am 11. Januar 2016 haben sie sich die Stimmenzähler Till Aders (AL) und Rainer Schmidig (EVP) – die ohne Zweifel sorgfältig und nach bestem Gewissen arbeiten – mindestens dreimal verzählt. Glücklicherweise nicht bei knappen Abstimmungen, wo eine Stimme den Ausschlag über Ja oder Nein, über Volksabstimmung oder keine Volksabstimmung geben kann.

Bei der Schlussabstimmung zur EP14-Massnahme K-003 Tarifverbund lautet das offizielle Schlussresultat 46 Ja zu 11 Nein. Demnach müssen insgesamt 57 Kantonsräte abgestimmt haben. Das ist falsch, weil drei Kantonsräte (Marco Rutz, CVP; Andreas Bachmann und Werner Schöni, beide SVP) abwesend sind und Andreas Frei (SP) sich der Stimme enthält.

Bei der Schlussabstimmung zur EP14-Massnahme K-008/9/10 Altersbetreuungs- und Pflegegesetz lautet das offizielle Schlussresultat 39 Ja zu 12 Nein. Das ist falsch, weil mindestens 40 Kantonsräte Ja stimmen.

Bei der Schlussabstimmung zur EP14-Massnahme K-013 Schulgesetz lautet das offizielle Schlussresultat 31 Ja zu 24 Nein. Demnach müssen 55 Kantonsräte abgestimmt haben. Das ist falsch, weil die erwähnten drei Kantonsräte abwesend sind und drei weitere (Jürg Tanner, SP; Regula Widmer, GLP; Markus Müller, SVP) sich der Stimme enthalten.

Mit Stimmenzähler Till Aders haben wir die drei entsprechenden Videos angeschaut: er bestätigt die Zählfehler. Auch Rainer Schmidig haben wir angeboten, mit uns die Zählfehler zu überprüfen. Er lehnte ab. Beide Stimmenzähler geben offen zu, dass Fehler durchaus vorkommen können.

Günstig und effizient

Vertreter von zehn Parteien unterstützen unsere Volksmotion bereits. Allerdings niemand aus der FDP. Mehrere FDP-Vertreter führten die Kosten als Gegenargument an. Wir halten mit einem urfreisinnigen Anliegen dagegen: Effizienz.

Ungefähr eine Minute dauert eine Abstimmung im Kantonsrat, zeitaufwändige Abstimmungen mit Namensaufruf nicht miteingerechnet. Für Abstimmungen per Knopfdruck reichen 15 Sekunden, wie Erfahrungen aus anderen Kantonen zeigen. Die Zeitersparnis scheint klein zu sein, aber sie summiert sich: Nach zwei Jahren könnte eine ganze Sitzung eingespart werden. Die Sitzungsgelder der Ratsmitglieder und die Löhne von Regierungsrat, Staatsschreiber und Ratssekretärin kosten den Steuerzahler über 13’000 Franken pro Sitzung. Zum Vergleich: Das Stadtparlament Wil SG hat 2013 eine elektronische Abstimmungsanlage in Betrieb genommen, die 11’500 Franken kostete. Selbst wenn sich die Kosten für transparente und fehlerfreie Abstimmungen nicht so schnell amortisieren sollten: Diese Investition in die Demokratie sollte dem Kanton etwas wert sein.

In guter Gesellschaft

Der Kanton Schaffhausen wäre kein Einzelgänger, wenn er auf elektronische Abstimmungen umschwenkt, im Gegenteil. Zwei Drittel aller Kantonsparlamente stimmen bereits elektronisch ab. In der Liste finden sich auch ähnlich kleine Legislativen in ähnlich konservativen Kantonen wie in Schaffhausen, beispielsweise die Parlamente von Appenzell Ausserrhoden (65 Kantonsräte) und Uri (64 Landräte). Der Nationalrat stimmt schon lange elektronisch ab, der Ständerat hat ein entsprechendes System eingeführt, nachdem gravierende Abstimmungsfehler publik wurden.

Die Unterschriftensammlung für unsere Volksmotion «Transparente und effiziente Stimmabgabe im Schaffhauser Kantonsrat» hat begonnen, bald werden wir sie mit mindestens 100 Unterschriften einreichen. Danach sind wir gespannt, wie der Kantonsrat entscheiden wird. Und wir versprechen: An diesem Tag, werden wir auf der Tribüne sitzen, die Abstimmung filmen und das Stimmverhalten der Ratsmitglieder öffentlich machen.

Im Exzess

Auslese

Dekadenz und Saufen in der Post-Apartheid-Ära.

«Ich, Kimathi Fezile Tito, erkläre hiermit feierlich, dass ich ein Soldat der Südafrikanischen Revolution bin. Als Freiwilliger habe ich mich dem Kampf für Gerechtigkeit verpflichtet. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben für Leben.»

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Erde an Planet Heinz

Stimmungsvolle Instrumentals, ein Hauch alte Schule, Disco und The Sexiest Coverboy Alive – die neue Scheibe der Aeronauten.

«Heinz handelt von aufregenden Normalen und von den normalen Aufregern. Die Gegend zwischen Zürich und Bern nennt man ‹Mittelland› und die grösste Sünde ist es dort, irgendetwas zu übertreiben. Trotzdem ist dieses Mittelland bevölkert mit Heinzen, Erichs und Herr Bärs. Und damit man nicht selber verrückt wird, spielt am Samstag irgendwo Ottos kleine Hardcore Band. Am Ende ist jeder aber doch nur eine Insel. Und dann dockt Kampfstern Galactica an, Die Aeronauten steigen aus und retten die Welt. Vielleicht sogar dich. – Schaffhausen ist überall.» Die Aeronauten.

Auf die Frage, ob sie denn neuerdings barfuss auftreten, kommt lautes Gelächter. Schmunzelnd teilt die Band mit: «Ja! Und wir rasieren uns auch nicht mehr und spielen Solis auf dem Geländer. Statt einer Vorband gibt es Kicker Turniere. Alles Quatsch!», meint Olifr.

«HEINZ» erschien im Oktober als CD und auf Vinyl bei Rookie Records. Ex-Aeronauten Bassist Hipp Mathis hat aus 30 Jahren Archivmaterial und Interviews einen einstündigen Dok über die Band zusammengestellt.

Die neue Scheibe der Aeronauten kommt standesgemäss daher. Das Album sei ein Denkmal und den Stadtoriginalen gewidmet, ohne die Schaffhausen nicht die Stadt wäre, die sie ist. Jeder dieser «Freaks» hat eine eigene Zeile. Es sei falsch zu sagen, Menschen wie Erich Schlatter seien anders als wir. Denn die Grenzen zu Ihnen seien besonders schmal. Ob sich Olifr zu diesen Leuten zählt? «Ja, nächstens!», antwortet der Texter. Er zähle sich schon zu den eher Komischen.

Es gab kein Konzept

Aufgenommen wurde das Album im Star Track Studio und nicht auf der Alp im Appenzell. Da es schwierig ist, immer alle zusammen zu trommeln. In Schaffhausen aufzunehmen, sei einfacher, und es wurde absolut nichts Neues ausprobiert. Es wurde das gemacht, was jede anständige Band macht. Sobald man ein paar Lieder hat, geht man sie proben und aufnehmen. Denn rumexperimentieren tun sie sowieso. Und diverse verschiedene Instrumente spielen sie eh immer. Es gab kein Konzept, nur die Sache mit den Stadtoriginalen war sicher. Denn die Zeit der Konzept-Alben sei vorbei. «Und unter uns, wen interessiert sowas heut‘ noch?», räumt Guz ein.

Im Normalfall kommt Olifr mit der Idee eines Songs, dann wird die Musik dazu getüftelt und die Texte allenfalls angepasst. Saxophonist Roger ist der Einzige, der schweizerdeutsche Texte schreibt und zur neuen Platte den Track «Drü Tag Räge» schrieb und auch sang.

Bei den Instrumentals sind die Titel auschlaggebend. Das sei das Zweitwichtigste. Es sei ein Unterschied, ob ein Stück «1, 2, 3» heisse oder «Najajima Island Horror». Bei «Nakajima Island Horror» handelt es sich um ein Film-Drehbuch, deshalb auch der Text im Booklet. Also, falls jemand Lust hat, einen billigen japanischen Sience Fiction-Movie zu drehen, wäre das die Musik dazu.

Eine Band muss sich amüsieren

Was in den letzten Jahren auffällt: Man findet die Musik der Aeronauten in den Schaufenstern der besten Plattenläden der Schweiz. Ganz abgesehen von Ihrem Erfolg im deutschsprachigen Ausland. Guz findet es wichtig, mit Songs unterschiedliche Leute anzusprechen. Egal woher und egal wie drauf sie sind. Die Aeronauten stünden für Unterhaltung, was ein Grund sei für die über 40 Shows jährlich.

Aber das Wichtigste sei, dass sich die Band selber amüsiere. Denn wenn das klappe, gebe es mit dem Rest keine Probleme mehr. (Könnte sich die eine oder andere Band hinter die Löffel schreiben!)

Publikumsabhängig sei ein Gig dann aber schon auch. «Austausch, Geben und Nehmen», wie Marc Zimmermann, der Bassist, beschreibt. «Wir machen unseren Job. Mal besser, mal schlechter, meistens ganz gut.» – «Ja, wir wissen langsam, wie’s geht», meint Guz. «Die Jahrzehnte geben einem eine gewisse Routine!»

Einfach laufen lassen

Wenn er an früher denke, wo er wirklich noch nervös gewesen sei vor einem Konzert, habe ihn das eher behindert. Nervosität und Unsicherheit. Das führe dazu, dass die Kreativität oder der Fluss viel schwieriger in Gang komme.

Das dünke ihn heute viel einfacher. Jetzt, wo er wisse: «Was die Band und ich machen, funktioniert gut. Wir sind ja auch ’ne coole Truppe und so, dann kann man einfach laufen lassen!»

Man könne sich was ausdenken und viel auf der Bühne improvisieren. Das seien dann auch die lässigen Momente. Freiheit bestehe aus der Sicherheit. «Scheisse. Sagen wir wenigstens in der Musik», verrät mir Olifr. Doch Zuschreibungen wie «kultige Band» hören die Aeronauten gar nicht gern. Ihnen bedeuten solche Schubladen nichts, denn es werden keine Altäre für sie errichtet. Die Aeronauten haben denn auch mit Justin Bieber so viel zu tun wie mit einem Sanitärgeschäft.

Ein Gastbeitrag von Marc Hirt.

Überraschungserfolgsbeats

Erst waren sie zu verhängt, doch jetzt ist ihre erste Platte da: Count Lazy & Funkbademeister präsentieren ihr Debüt «Funklifesavers».

«Ob zum Putzen, Relaxen, Kiffen, Pennen, Autofahren, Malen, Skaten, Ficken oder Kacken.»

Funkbademeister

Louis und Andi sind Jugendfreunde, die sich in ihrer Freizeit mit viel Leidenschaft dem Hip Hop widmen. 2012 hat Andi alias Funkbademeister für «Radio Juicy» einen Beat gebastelt, der prompt für einen Beat-Sampler verwendet wurde. Louis und Andi arbeiten im Untergrund jeder für sich allein. Es sei keine typische Collabo-Situation, wie man erahnen könnte. Als dann Anfragen für ein eigenes Tape kamen, (Ja Tape! Sowas macht man immer noch!) wurden alle Tracks fein säuberlich ausgewählt, arrangiert und aussortiert.

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Wenn Vollbananen planen

Odi motzt

JÜRG ODERMATT ist Musiker, Journalist und Ex-Schaffhauser.

Wohl kein Zufall: «Verfaulte Geschichten», das Blog zu Schaffhauser Politik, Kultur, Medien und dem ganzen Rest, entstand, während seine Initianten/Betreiber – Chrigi Erne und meinereiner – im Winterthurer Exil lebten.

Mit etwas Distanz sieht man die Verstrickungen, Verrenkungen, Verblasenheiten in der «Haamet» immer wäng anders. Mittlerweile lebe ich seit vier Jahren in Winterthur und komme mir, was Schaffhausen betrifft, langsam vor wie jener Onkel, den man nur an grossen Familienfesten sieht und der dann jeweils findet: Heiei, sind die Kinder aber gewachsen!

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«Kommunismus ist wichtiger als Helfen»

Die neu gegründete Autonome Schule Schaffhausen will Treffpunkt und Anlaufstelle für Sans-Papiers sein. Der Weg dahin ist umstritten.

Patrick Lang und Nico Brauchli unterrichten AB JANUAR 2016 an der Autonomen Schule Schaffhausen.

Kennen Sie einen Sans-Papier? Nein? Da sind Sie kein Einzelfall. Menschen, die in der Schweiz keine Aufenthaltsberechtigung haben, leben am Rande unserer Gesellschaft und treten mit dieser kaum in Kontakt. Sie haben keinen Anspruch auf Dienstleistungen. Selbst die Migrantinnen-Deutschkurse der Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH sind für Sans-Papiers tabu.

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